Seit drei Tagen hing ein Nebel so dicht wie Erbsensuppe um das kleine Häuschen der WG von Adiuva et Protege. Es war ein feuchter, klammer und vor allem übellauniger Nebel.
„Ich hab die Nase voll!“, schimpfte Lily und knallte die Haustür zu.
Sie landete auf dem Wohnzimmerteppich und versuchte vergeblich, ihre Elfenflügel trocken zu schütteln.

„Das Mistwetter ist eine Beleidigung für die Aerodynamik! Meine Flügel sind nass und schwer. Das Fliegen kostet doppelt so viel Kraft!“
Darin blickte nicht einmal von dem komplizierten Manakristall-Detektor auf, den er gerade polierte.
„Physikalisch unmöglich, Lily“, sagte er mit seiner gewohnt trockenen Stimme. „Wir fliegen mit Magie, nicht mit Auftrieb. Der Luftwiderstand ist marginal. Wir könnten am Grund eines Sees fliegen und es würde keinen Unterschied machen.“
Lily stemmte die Hände in die Hüften.
„Ach ja? Das kann schon sein, Herr Oberschlau! Aber vielleicht weiß die verdammte Magie das nicht? Vielleicht denkt sie sich: ‚Oh, nass und schwer, heute mach ich mal halbe Kraft!‘ Schon mal daran gedacht?“
Funny, die am Tisch saß und ihre blauschimmernden Dolche sortierte, seufzte leise. Es kam nur selten vor, dass sich Darin und Lily stritten. Meistens war Darin der stoische Fels, der die Wogen zwischen ihr und Lily glättete. Aber wenn diese beiden aneinandergerieten, war höchste Alarmbereitschaft geboten.
„Kinder, bitte“, sagte Funny mit sanfter, aber fester Stimme. „Dieser Nebel schlägt uns allen aufs Gemüt. Lasst uns zur Gilde fliegen. Vielleicht wissen die, was los ist. Und vielleicht gibt es ja sogar einen Auftrag dazu.“
Lily schnaubte verächtlich.
„Ein Auftrag? Was soll das schon sein? ‚Achtung, B-Rang-Notfall: Omma Fietsche ist beim Kochen eingeschlafen!‘ Die hat vergessen, den Deckel auf ihren Kochtopf zu tun, und jetzt brodelt es vor sich hin und vernebelt die ganze Stadt. Die hat das schon mal draufgehabt!“
Darin wollte gerade eine etwas bissigere Antwort als üblich geben – offensichtlich zerrte der Nebel selbst an den Nerven eines so logischen Elfen –, doch Funny fuhr ihm freundlich, aber bestimmt dazwischen.
„Selbst wenn es keinen Auftrag gibt“, sagte sie mit einem feinen Lächeln. „Wir waren schon lange nicht mehr bei Lydia und haben ihre unvergleichliche Küche genossen.“
Lilys Gesicht hellte sich auf wie ein Sonnenaufgang.
„LYDIA!“, rief sie.
Ihre schlechte Laune war wie weggewischt. Sie sprang auf, ihre Flügel schlugen fröhlich.
„Ihre Wildschweinkeule in Pfeffersoße! Ihr Elfenwein! WORAUF WARTEN WIR NOCH? KOMMT, KOMMT, AUF ZU LYDIA!“
Sie riss die Tür auf und hüpfte auf die Straße. Darin lächelte. Die Kochkünste von Lydia, die bei seiner eigenen Mutter ihr Handwerk gelernt hatte, waren in der Tat spektakulär.
*
Die Gilde war wie immer bis zum Bersten gefüllt. Es roch nach nassem Fell, Bier und Söldnerschweiß. Der Nebel drückte auch hier die Stimmung. Funny schob sich elegant durch das Gedränge zu ihrer Stamm-Rezeptionistin Renni, einem flinken Hundemädchen, dass selbst im größten Gedränge immer ein Lächeln parat hatte.
„Hallo Renni. Dieser Nebel…“, begann Funny.
Renni nickte und schob ihr sofort ein Pergament über den Tresen.
„Hab mir schon gedacht, dass ihr euch danach erkundigt. Hier. Der ist die letzten Tage immer höher bepreist worden. Der Nebel schlägt den Leuten echt aufs Gemüt. Alle sind nur noch am Streiten.“
Sie spähte über Funnys Schulter.
„Apropos… ist das Lily, die da gerade mit drei Zwergen gleichzeitig Streit anfängt?“

Funny wirbelte herum. Oh nein.
Bei Lily und Darin hatte sich ein kleiner Tumult gebildet.
„Hast du Gnom tatsächlich gesagt, ich soll mich mit meinen Flatterdingern nicht so breit machen?“, zischte Lily einen Zwerg an, der ihr bis zur Brust reichte.
Zwerge können es absolut nicht leiden, als Gnome tituliert zu werden. Der Zwerg wurde purpurrot.
„Pass auf, was du sagst, du… du Feuerfliege!“
Lily legte den Kopf schief.
„Was hast du gesagt, du… Dreckwühler?“
„Flatterwicht!“, rief der zweite Zwerg.
„Steinzertrümmerer!“, konterte Lily.
„DICKE HUMMEL!“, brüllte der erste Zwerg.
Der Lärm in der Halle erstarb augenblicklich und machte einer regelrecht gespenstischen Stille Platz. Sogar Darin zuckte zusammen.
„Oh, DAS war die falsche Wortwahl.“
Lilys Gesicht verlor jede Farbe. Sie sprach mit einer unheimlich ruhigen, eisigen Stimme.
„Was… hast… du… gesagt?“
Mit einem Geräusch wie zerreißende Seide zog sie ihre Naginata. Im selben Moment griffen der Zwerg und seine beiden Kumpel zu ihren Äxten. Darin wollte Lily noch zurückhalten, doch da schallte eine magisch verstärkte Stimme durch die Halle, die den wiederaufgebrausten Lärm der Gilde durchdrang:
„WER HIER SEINE WAFFEN ZIEHT, DER FLIEGT!“
Fennja, die Schwert- und Gildemeisterin, starrte sie vom anderen Ende der Halle aus an. Darin reagierte blitzschnell. Er packte Lilys Arm und aktivierte ihre gemeinsame Itembox. Die Naginata verschwand einen Wimpernschlag, bevor Fennjas Team eintraf.
Die Gilden-Wachen sahen nur drei Zwerge mit kampfbereiten Äxten und eine Elfe, mit unschuldigem Kullerblick (wenn man von den mordlustigen Funken in ihren Augen absah).
„Raus!“, brüllte der Anführer der Wachen, und die drei Zwerge flogen achtkantig aus der Gilde.
Fennja funkelte Lily böse an. „Ich hab dich im Auge, Flatterwicht!“
Funny stürzte zu ihnen, packte Lily am Arm und Darin am Ärmel und zog beide auf die Straße. „Raus hier. Sofort.“
*
„Wir haben einen Auftrag“, sagte Funny schnell, bevor Lily explodieren konnte. „Der Nebel ist nicht normal.“
„Omma Fietsche?“, fragte Lily mürrisch.
„Wahrscheinlich eher nicht“, lächelte Funny. „Der Nebel wabert von Norden in die Stadt. Lasst uns der Spur folgen.“
„Och nö“, jammerte Lily. „Im Norden ist nur Geröll und Felsen. Das ist langweilig.“
Darin hatte bereits seinen Analysator herausgezogen. Das Gerät summte und pfiff.
„Aber dort muss es eine Quelle geben. Eine starke… emotionale… und thermische Anomalie?“
„Ein Geröllgolem, der eine Erkältung hat“, schloss Lily.
Der Nebel wurde immer dichter, je weiter sie nach Norden kamen. Die Sicht sank auf unter einen Meter.
„Okay, das ist lächerlich“, sagte Funny. „An die Hände fassen. Wir wollen uns nicht verlieren.“
Sie tasteten sich vorwärts, bis sie plötzlich gegen etwas stießen. Es war morsch und… stand seltsam. Als der Nebel sich für einen Moment lichtete, sahen sie ein windschiefes Haus, das tatsächlich auf einem gigantischen, knochigen Hühnerbein stand.
Lily starrte es an.
„Ist das nicht ein bisschen zu viel Klischee für ein Hexenhaus?“

Funny zuckte mit den Schultern und stieg mit Lily und Darin die schiefe Treppe hinauf und klopfte höflich an die windschiefe Tür.
Eine kratzige Stimme drang von drinnen nach draußen: „Knusper, knusper, Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?“
Lily schob Funny beiseite.
„Sorry, wir sind keine Hunde, die auf Hühnerbeine stehen! Aber könntest du prophylaktisch mal den Deckel auf deinen Kessel tun? Es zieht wie Hechtsuppe!“
Funny und Darin verdrehten synchron die Augen.
„Danke für deine direkte Art, Lily“, murmelte Funny.
„Ich will zu Lydia!“, Lily stampfte wütend mit den Füßen. „Heute noch!“
Von drinnen knarzte die Stimme wütend zurück: „WEG, WEG! MEINE RATTEN SIND HUNGRIG!“
Es rumpelte und polterte. Die Tür sprang auf, und ein gigantischer, wogender Strom aus tausenden kreischenden Ratten ergoss sich auf sie.
„IIIIIIEEEEEEEEHHHHH!“, kreischte Lily und wäre fast in Darin hineingeflattert. „Die alte Trulla hat ein MASSIVES Hygiene-Problem!“
Die Drei stoben im hohen Bogen zurück auf den Boden. Während sich die Mädchen noch vor den Ratten ekelten, blieb Darin völlig ruhig. Er griff in seine Item-Box, holte eine kleine, silberne Schachtel heraus und legte sie vor sich auf den Boden. Der Rattenstrom stoppte abrupt, als wäre er gegen eine Betonwand geknallt. Die vordersten Ratten türmten sich auf, panisches Quietschen erfüllte die Luft, und im nächsten Moment drehte der gesamte Strom um und verschwand wieder die treppe hinauf im Haus.
Funny sah ihn verwundert an.
„Was hast du gemacht?“
„Och“, sagte Darin und hob die Box auf. „Der ‚Rattenfänger 4000‘. Den meiden Ratten-Yōkai wie die Pest. Eigentlich ist es nur eine kleine Lebendfalle, aber irgendwie haben die panische Angst vor dem Design.“
Lily war beeindruckt. Sie trat noch einmal vor die Tür und klopfte erneut. Diesmal „nachdrücklicher“ – ihre Faust traf das Holz mit einem Knall, der die Tür beinahe aus den Angeln fliegen ließ.
„EY, RATTEN-TRULLA! HIER IST DAS HYGIENE-AMT! AUFMACHEN!“
Es rauschte erneut. Die Tür sprang auf. Ein Schwarm pechschwarzer Krähen schoss heraus. Darin seufzte.
„Plan B.“
Er warf einen kleinen, goldenen Ball in die Luft. Mit einem Pling explodierte dieser in tausende goldglänzende Schnipsel. Jeder Vogel im Schwarm erstarrte, versuchte, wenigstens einen der Schnipsel zu ergattern, und sobald er einen hatte, flatterte er glücklich zurück ins Haus, um seine „Beute“ in Sicherheit zu bringen. Schnell waren alle Vögel wieder verschwunden.
„Wusste gar nicht, dass das mit glänzenden Dingen auch bei Krähen funktioniert“, staunte Lily.
„Ich auch nicht“, gab Darin zu. „Ich hab gedacht: ‚Versuch macht kluch‘.“
*
Schließlich öffnete sich die Tür einen Spalt. Erst sah man nur eine sehr lange, krumme Nase, dann einen klassischen, spitzen Hexenhut und schließlich den Prototyp einer Hexe. Sie funkelte sie aus roten Augen an.

„Ihr garstigen, garstigen Flatterdinge!“, kreischte sie. „Was stört ihr mich! Könnt ihr nicht sehen, dass ich beschäftigt bin? Ich bin SO WÜTEND!“
Der Nebel um sie herum pulsierte sichtlich mit ihrer Wut.
„Ich versuche seit Tagen, meine verfluchte Dampfheizung zu reparieren! Aber sie ist kaputt! Sie macht nur noch DAMPF! ALLES VOLLER DAMPF!“
Funny, Darin und Lily sahen sich an: Dampf + Wut = Übellauniger-Nebel.
Funny schaltete sofort in den Diplomatie-Modus. Sie schob Lily sanft beiseite.
„Das… das wissen wir, Mütterchen. Und es tut uns aufrichtig leid. Wir sind gekommen, um Euch bei der Reparatur zu helfen!“
Sie deutete mit einer eleganten Geste auf Darin.
„Darin ist unser Heizungsmeister.“
Die Hexe erstarrte. Ihr zorniges Gesicht wurde… hoffnungsvoll?
„Ein… ein Heizungsmeister? Warum sagt ihr das nicht gleich? Herein, herein! Passt auf die Ratten auf!“
Die Hexe führte Darin in einen Verschlag, der aussah wie eine alchemistische Katastrophe. In der Mitte stand ein riesiger, gusseiserner Kessel, der bebte, pfiff und aus jedem Ventil Unmengen an Dampf ausstieß.

Darin schob seine Brille hoch.
„Ah. Das Hauptventil klemmt. Und der Überdruckbegrenzer ist korrodiert.“
Er öffnete seine Item-Box. Funny und Lily sahen zu, wie er mit einer fast unheimlichen Präzision zu arbeiten begann. Er schraubte hier, klopfte da, tauschte ein Ventil aus („Hab ich immer dabei, man weiß ja nie“), lötete einen Überdruckbegrenzer an einer anderen Stelle an, und nicht einmal fünfzehn Minuten später beruhigte sich das Beben. Das Pfeifen wurde zu einem sanften Blubbern. Der Kessel hörte auf, Dampf zu produzieren, und begann stattdessen, wohlige Wärme abzustrahlen.
„Es… es geht!“, rief die Hexe und klatschte in die Hände. „Es ist warm! Es ist nicht mehr nass!“
Die Hexe war happy. Die drei Freunde waren happy. Der Nebel draußen begann sich aufzulösen, und die drückende, wütende Stimmung, die über der Stadt gelegen hatte, verschwand mit ihm.
„So!“, sagte Lily zufrieden, als sie wieder auf der Straße standen und die Sonne zum ersten Mal seit Tagen durchbrach. „Auftrag erfüllt. Hexe glücklich. Und JETZT auf zu Lydia. Ich hab einen Bärenhunger. Heizungsreparaturen machen nämlich hungrig!“
































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