Die Vorfreude kribbelte in Funny wie tausend winzige Blütenpollen. Tokyo! Die Anime Awards! Für FUNime.de live vor Ort zu berichten, war eine aufregende Perspektive. Selbst für eine Blumenelfe wie sie, die schon einiges an Abenteuern in Feenland erlebt hatte, war die Menschenwelt immer wieder ein Quell der Faszination – und Japan mit seiner einzigartigen Kultur und der pulsierenden Metropole Tokyo stand ganz oben auf ihrer Liste. Da selbst die stärksten Elfenflügel sie nicht über eine solche Distanz tragen konnten, hatte sie sich wohl oder übel für ein Flugzeug entschieden.
Die Aufregung wich einer leichten Nervosität, als sie am Flughafen ihr Gepäck aufgab. Ihr kleiner, hellblauer Rollkoffer enthielt alles Wichtige: ihre sorgfältig vorbereiteten Unterlagen für die Berichterstattung, den Stadtplan von Tokyo, die Adresse ihres gebuchten Hotels und natürlich die Details zur Awardverleihung. Dank der subtilen Magie, die ihre elfische Erscheinung für menschliche Augen normalisierte – niemand bemerkte ihre Flügel oder ihre für Menschenaugen doch recht knappe Bekleidung –, verlief die Passkontrolle erstaunlich reibungslos.
Einen Pass besaß sie nicht; in Feenland waren solche Formalitäten unbekannt. Ein charmantes Augenaufklimpern hier, ein gewinnendes Lächeln da, und schwups – die Beamtin stempelte ein imaginäres Dokument ab. Auch das Boarding war ein Kinderspiel. Funny kicherte innerlich. Manchmal war die menschliche Welt herrlich unkompliziert.

Zehn Stunden später landete die Maschine sanft auf dem Flughafen Tokyo Narita. Die Durchsagen auf Japanisch und Englisch schwirrten um sie herum, ein aufregendes Versprechen neuer Erfahrungen. Doch die Freude verflog jäh, als sie am Gepäckband stand. Runde um Runde drehten die Koffer ihre Kreise, aber von ihrem hellblauen Rollkoffer fehlte jede Spur. Minute um Minute verstrich, das Band leerte sich, und eine kalte Ahnung kroch in Funny hoch.
Im Büro für verlorenes Reisegepäck erwartete sie eine Flut von höflichen, aber letztlich nutzlosen Entschuldigungen. Man bedauerte den Vorfall außerordentlich. Ihr Koffer sei wohl versehentlich – ein Computerfehler, menschliches Versagen, man wisse es nicht genau – nach Südamerika expediert worden. Mit etwas Glück, so versicherte man ihr mit einem gequälten Lächeln, würde er in ungefähr einer Woche wieder abholbereit sein. Eine Woche! Man drückte ihr Bedauern aus, notierte etwas auf einem Formular, das sie nicht verstand, und schob sie dann sanft, aber bestimmt aus dem Büro.

Da stand Funny nun. Allein. Im riesigen, wuseligen Ankunftsbereich des Flughafens Tokyo Narita. Ohne Koffer. Ohne ihre Unterlagen. Ohne Geld für ein Zugticket in die Innenstadt, denn auch ihre kleine Notfallgeldbörse war im Koffer gewesen. Keine Adresse ihres Hotels. Keine Informationen zur Awardverleihung. Nichts. Die Erkenntnis traf sie mit voller Wucht. Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zu, und die ersten Tränen begannen unaufhaltsam über ihre Wangen zu kullern.
Sie fand eine Bank etwas abseits des Hauptstroms der Reisenden – wobei „abseits“ in Narita ein sehr relativer Begriff war – und ließ sich kraftlos darauf sinken. Die Gedanken rasten. Gestrandet. Das war das Wort. Vollkommen und absolut gestrandet. Feenland unterhielt keine Botschaften in der Menschenwelt. Es gab niemanden, an den sie sich wenden konnte. Als ihr die volle Tragweite ihrer Situation bewusst wurde, die absolute Hilflosigkeit, brach es aus ihr heraus. Tiefe, herzzerreißende Schluchzer erschütterten ihren zierlichen Körper.

Hier, in diesem Moment tiefster Not, erwies sich die sonst so nützliche Magie, die ihre elfische Natur vor den Menschen verbarg und ihr Erscheinungsbild normalisierte, als grausamer Fluch. Die Menschen eilten an ihr vorbei, geschäftig, in ihre eigenen Welten versunken. Niemand nahm Notiz von dem kleinen, weinenden Häufchen Elend auf der Bank. Funny konnte zwar dank der Magie die japanische Sprache verstehen, aber was nützte das, wenn niemand sie wahrnahm, wenn sie für alle unsichtbar zu sein schien? Sie fühlte sich restlos verloren, und das war selbst für eine gestählte Wächterin Feenlands, eine Kriegerin, die Bedrohungen für ihre Heimat mit unbeugsamem Willen bekämpfte, emotional überwältigend.
Doch dann, gerade als sie dachte, sie würde in einem Meer aus Tränen und Verzweiflung versinken, drang eine Stimme zu ihr durch. Eine sehr sanfte, melodiöse Stimme.
„Kann ich dir helfen?“
Im ersten Moment glaubte Funny nicht, dass sie gemeint sein könnte. Sie war doch unsichtbar für die Welt.
Doch die Stimme fragte erneut, diesmal näher: „Komm schon, einer so hübschen Blumenelfe stehen doch so viele Tränen gar nicht.“
Überrascht hob Funny den Kopf. Vor ihr stand eine junge Frau, vielleicht ein paar Jahre älter als sie selbst wirkte, mit freundlichen, intelligenten Augen und einem sanften Lächeln. Sie hatte dunkelblaues, kurzes Haar, das Funny irgendwie bekannt vorkam, und hielt ihr ein sauberes Taschentuch entgegen.

Funny war so verdattert, direkt angesprochen worden zu sein – und als Blumenelfe erkannt! –, dass sie für einen Moment glatt das Weinen vergaß. Dankbar nahm sie das Taschentuch an und tupfte sich die feuchten Spuren von den Wangen.
„Ich bin Ami,“ sagte die junge Frau mit einem warmen Lächeln. „Ich bin gerade mit einem Flug angekommen und habe dich kleines Häufchen Unglück hier schluchzen sehen. Was ist denn passiert? Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“
Ein Schwall von Worten brach aus Funny heraus. Sie erzählte von den Anime Awards, dem verschwundenen Koffer, den verlorenen Unterlagen, ihrer kompletten Hilflosigkeit. Sie vergaß in ihrer Erleichterung, endlich jemanden gefunden zu haben, der sie nicht nur wahrnahm, sondern auch verstand, völlig zu fragen, woher Ami wusste, dass sie eine Blumenelfe war.
Ami hörte geduldig und mitfühlend zu, nickte ab und zu verständnisvoll.
Als Funny geendet hatte, atmete sie tief durch und fügte dann etwas kleinlaut hinzu: „Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit. Ich hätte mich natürlich vorstellen sollen. Mein Name ist Funny. Ich bin eine Wächterin aus Feenland und arbeite in der Menschenwelt für eine Anime-Redaktion.“
Ami lächelte noch immer. „Mach dir keinen Kopf wegen Formalitäten, Funny.“
Sie dachte einen Moment nach, ihr Blick wurde nachdenklich.
„Pass auf,“ sagte sie dann entschlossen. „Wenn du möchtest, kannst du vorerst mit mir kommen. Ich wohne in einem Apartment in Tokyo. Meine Mutter ist Ärztin und fast ununterbrochen für Kongresse auf der ganzen Welt unterwegs. Ich bin also meistens allein dort, und wir haben ein Gästezimmer, das du nutzen könntest.“
Hoffnung keimte in Funny auf, zart wie ein erster Krokus im Schnee. „Wirklich? Darf ich dieses überaus freundliche Angebot wirklich annehmen?“ fragte sie mit brüchiger Stimme.
Ami nickte lächelnd.
„Aber natürlich! Ich muss zwar tagsüber zu meinen Vorlesungen an der medizinischen Fakultät – ich studiere im vierten Semester an der Todai –, aber ansonsten: My home is your castle, sozusagen.“
Ein Gefühl überwältigender Dankbarkeit durchströmte Funny. Ohne nachzudenken, warf sie sich Ami stürmisch um den Hals.

„Oh, vielen, vielen Dank! Du rettest mich!“
Erst mitten in der Umarmung fiel ihr ein, dass Japaner solch eine überschwängliche Nähe eher nicht mögen. Sie wollte sich sofort lösen, rot vor Verlegenheit, doch Ami erwiderte die Umarmung sanft und zog sie einen Moment fester an sich.
„Kein Problem,“ sagte Ami leise und verständnisvoll. „Ich weiß, wie es sich anfühlt, allein und verlassen zu sein. Lass uns jetzt erst einmal nach Tokyo reinfahren.“
Sie löste sich von Funny.
„Bevor wir fahren, gehen wir aber noch einmal kurz zur Gepäckermittlung. Ich hinterlege dort meine Kontaktdaten und meine Adresse. Dann werden wir benachrichtigt, sobald dein Koffer auftaucht.“
Nachdem das erledigt war – Ami wickelte das Gespräch mit den Angestellten mit einer beeindruckenden Mischung aus Höflichkeit und Bestimmtheit ab –, nahm sie Funny bei der Hand und zog die immer noch etwas benommene Elfe in Richtung der Bahngleise. Dann kaufte Ami am Automaten zwei Tickets für den Narita Express.
„Wir fahren jetzt gut neunzig Minuten bis Tokyo Station,“ erklärte Ami, während sie Funny in einen der bequemen Sitze des Schnellzugs lotste. „Dort steigen wir in die Tokyo Metro Marunouchi Line um und fahren bis zur Kasumigaseki Station. Von dort nehmen wir die Hibiya Line bis Roppongi. Und von Roppongi aus sind es dann nur noch etwa zehn Minuten zu Fuß bis Azabu-Juban. In einem der Apartment-Komplexe dort hat meine Mutter eine Wohnung.“
Funny schwirrte der Kopf von all den Namen, den Umsteigebahnhöfen und Orten. Sie nickte nur stumm, überwältigt von der schieren Größe und Komplexität dieser Stadt und gleichzeitig unendlich dankbar für Amis ruhige Führung. Ami lächelte wissend. Sie konnte sich gut vorstellen, wie überwältigend Tokyo auf Neuankömmlinge wirken konnte.
Die Fahrt war, wie von Ami vorhergesagt. Nach etwas mehr als neunzig Minuten und mehreren Umstiegen, bei denen Funny sich einfach nur an Amis Hand fest hielt, erreichten sie schließlich ein modernes Apartmentgebäude in einer ruhigen Seitenstraße von Azabu-Juban. Die Wohnung war geräumig, hell und modern eingerichtet, mit einem atemberaubenden Blick über die Lichter der Stadt.
„Hier,“ sagte Ami und öffnete eine Tür. „Das ist das Gästezimmer. Mach es dir bequem. Das Bad ist gleich nebenan.“
Funny, völlig erschöpft von den Ereignissen des Tages und den unzähligen neuen Eindrücken, konnte nur noch dankbar nicken. Kaum hatte sie das weiche Bett im Gästezimmer berührt, war sie auch schon eingeschlafen, die Strapazen der letzten Stunden fielen wie eine schwere Decke von ihr ab.

Ami schaute später noch einmal leise nach ihr. Als sie Funny friedlich mit einem Lächeln auf den Lippen schlafen sah, schloss sie leise die Tür. Ein Lächeln huschte auch über Amis Gesicht. Es war ein schönes Gefühl, die große Wohnung für die nächsten Tage nicht alleine bewohnen zu müssen. Dann setzte sie sich an ihren Schreibtisch, startete ihren Rechner und begann fleißig, ihre Vorlesungen für den nächsten Tag an der Universität durchzugehen.

Fortsetzung in „Eine Woche wie im Rausch“
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