Der Morgen am Frühstückstisch im WG-Häuschen begann geschäftig.
„Wann wollen wir zu meiner Mutter nach JWD aufbrechen?“ fragte Darin und schob sich den letzten Bissen Pfannkuchen in den Mund.
Lily, die bereits ihre Naginata polierte, strahlte: „Je eher, umso besser! Dann können wir in der nördlichen Ödnis noch ein wenig Spaß haben. Ein bisschen aufräumen, ein paar Trolle ärgern…“
Funny seufzte leise, aber mit einem Lächeln.
„Wollten wir uns nicht ein ruhiges Wochenende machen? Wer weiß, was nächste Woche noch alles passieren wird! Gestern der Vampir, vorgestern die Lawine…“
„Och Funny!“ Lily verdrehte die Augen. „Sei nicht so ’ne Spaßbremse. Ein bisschen Chaos veranstalten macht doch Spaß!“
Darin grinste schief.
„Und du fragst ernsthaft, woher der Spitzname ‚Rote Chaotin‘ kommt?“
Lily streckte Darin grinsend die Zunge raus. Funny lachte.
„Ich schlage vor: Wir räumen ab, wir räumen auf, wir gehen los. In der Reihenfolge.“
„Ein perfekter Plan“, bestätigte Darin.
„Das ist so typisch“, kicherte Lily. „Ohne einen perfekten Plan geht’s bei euch beiden nie, oder?“
Drei Blumenelfen arbeiteten im Akkord. Das Geschirr war in Rekordzeit gespült und verstaut. Gut, dass das stürmische Wetter der letzten Tage sich gelegt hatte; die Luft war kalt, aber klar. Sie stiegen auf, die Flügel surrten leise in der Winterluft.
Ankunft in JWD
Pünktlich zum Mittagessen landeten sie in JWD – dem Hof „Janz Weit Draußen“. Es war der letzte zivilisierte Vorposten vor der rauen, nördlichen Ödnis. JWD, ein Ort, an dem Abenteurer ihre Wunden leckten und ihre Vorräte aufstockten. Geführt wurde er von Rawenna, Darins Mutter, einer ehemaligen A-Rang-Abenteurerin, die auch im Ruhestand noch furchteinflößend sein konnte. Darins Vater Florent war, wie so oft, irgendwo in der Menschenwelt unterwegs, um „exotischen Schrott“ (wie Rawenna es nannte) oder „technologische Wunderwerke“ (wie Darin es nannte) zu sammeln.
Kaum hatten Darins Füße den Boden berührt, stürmte eine silberhaarige Elfe in einem knappen silbernen Bikini aus dem Haupthaus und warf sich Darin an den Hals.

„Willkommen, mein Schatz!“
Darin wurde (natürlich) rot, ließ es sich aber gefallen. Danach bekamen Funny und Lily eine Umarmung, die so herzlich war, dass sie sich sofort zu Hause fühlte.
„Wann…“, setzte Darin an.
„…gibt’s zu Essen?“ beendete Rawenna den Satz. „Jetzt!“
Funny und Lily grinsten sich an. Rawennas Küche war im ganzen Land berühmt. Sie folgten ihr in den urigen Gastraum, wo ein riesiges Kaminfeuer prasselte. Heute war es ruhig. Nur eine kleine Gruppe saß an einem Ecktisch: Ein Schwertkämpfer, eine Magierin, eine Heilerin und ein Kundschafter – typische C-Rang-Zusammensetzung, noch etwas grün hinter den Ohren. Die Gruppe zahlte aber schon und brach auf, kaum dass Adiuva et Protege Platz genommen hatte.
Nach dem Essen (Wildschweinbraten mit Klößen, ein Gedicht!) teilte sich die Gruppe auf.
Funny und Lily besuchten den hauseigenen Onsen.
„Schade, dass er nicht gemischt ist“, seufzte Funny und ließ sich ins heiße Wasser gleiten.
„Rawenna hat mal gesagt“, gluckste Lily, „sie kann die dreckigen, ausgehungerten Kerle aus der Ödnis doch nicht zu süßen Mädels wie uns in denselben Pool steigen lassen.“
Anschließend machten sie es sich auf der Couch vor dem Kamin gemütlich. Rawenna wollte alles wissen.
„Nein, Funny! Sowas machst du?“
Rawenna lachte laut auf, als Lily (sehr ausgeschmückt) von dem Morgen erzählte, an dem Funny nackt in Darins Zimmer gestürmt war. Funny vergrub das Gesicht in den Händen.
„Das war ein… Notfall!“
Währenddessen tat Darin das, was er immer tat, wenn er zu Hause war: Er schritt die Sicherheitseinrichtungen ab. Er prüfte Sensoren, kalibrierte die magischen Schutzzäune und ölte die automatischen Verteidigungsanlagen (Marke Eigenbau). Er war froh, nicht drinnen bei den Mädels zu sein. Er konnte sich lebhaft vorstellen, welche peinlichen Details aus seiner Kindheit seine Mutter gerade auspackte.
Alarm in der Dunkelheit
Darin war gerade fertig, als die Sonne unterging und die Schatten der Ödnis länger wurden. Plötzlich durchschnitt ein schriller Alarmton die Stille. Darin war sofort am Tor. Sekunden später standen Funny (mit gezückten Dolchen), Lily (die Naginatas kampfbereit) und Rawenna (ebenfalls mit zwei langen Dolchen bewaffnet) neben ihm.
„Was haben wir?“ fragte Rawenna scharf.
„Jemand nähert sich“, sagte Darin und starrte auf seinen Scanner. „Einzelperson. Verletzt. Er torkelt.“
Funny wollte sofort das Tor öffnen.
„Halt!“ Rawenna packte ihren Arm. „Niemals öffnen, bevor du nicht zweifelsfrei weißt, dass keine Gefahr droht.“
„Aber er braucht Hilfe!“ rief Funny.
„Solange er noch laufen kann, greifen wir nicht ein“, sagte Darin kühl. „Es könnte ein Gestaltwandler sein. Oder ein Köder. Hier draußen“, er sah Funny ernst an, „musst du paranoid sein, um zu überleben.“
Funny schluckte und nickte. Der Personenscanner piepte. Selbst in der Dunkelheit erkannten sie nun die Gestalt. Es war der junge Kundschafter von heute Mittag. Er sah übel aus. Große, klaffende Wunden zogen sich über seinen Oberkörper. Direkt vor dem Tor brach er zusammen.
„Jetzt!“ kommandierte Rawenna. „Funny, an den Riegel! Lily, Tor auf! Darin, zieh ihn rein! Dann sofort wieder verriegeln!“
Das Manöver dauerte keine fünf Sekunden.
„Darin, Status?“ rief Rawenna, während sie den Verletzten stabilisierte.
„Abwehrzauber aktiv. Aber… da ist noch was.“
Darin starrte in die Dunkelheit.
„Der Scanner zeigt schwache Signaturen am Horizont. Vier.“
Der Verletzte stöhnte auf. „Kriegswölfe…“
Der Kriegsrat
Sie brachten den Kundschafter – er hieß Bob – in die warme Gaststube. Funny ließ sofort ihre Heilmagie wirken. Die Wunden schlossen sich, die Farbe kehrte in Bobs Gesicht zurück. Rawenna flößte ihm eine Kraftbrühe ein.
„Wir müssen sie retten“, keuchte Bob plötzlich und ließ den Löffel fallen.
„Deine Gefährten?“ fragte Rawenna sanft.
Bob nickte hastig.
„Wir hatten kurz vor Anbruch der Dunkelheit unser Lager auf einem Plateau errichtet. Dann hörten wir das Heulen. Kriegswölfe. Mindestens zwei Dutzend. Sie griffen sofort an. Gabriella und Losann hielten sie in Schach, aber wir wurden müde. Laina, unsere Heilerin, schickte mich los. ‚Lauf zu JWD!‘ hat sie geschrien. Gabriella tarnte mich, aber vier Wölfe folgten mir trotzdem. Sie wussten, dass ich verletzt war.“
„Die vier, die dir folgten, haben vor dem Hof angehalten“, kombinierte Rawenna. „Das waren die Signaturen, die Darin gesehen hat.“
Sie überlegte kurz, der General in ihr erwachte.
„Wir sind zu viert. Mit dir, Bob, fünf. Wenn deine Freunde noch leben, sind wir acht. Gegen knapp zwanzig Kriegswölfe. Das ist sportlich.“ Sie grinste. „Aber machbar. Darin? Plan?“
Darin schob seine Brille hoch.
„Wir machen aus dem Jäger den Gejagten. Ich habe fünf Induktions-Aktoren dabei. Wir können zwar keinen dichten Ring ziehen, aber wir können… sie täuschen.“
Er kramte in seiner Itembox.
Lily kam herein, die das Tor bewacht hatte.
„Die Signaturen sind weg.“
Funny informierte Lily leide über den aktuellen Stand.
„Ich habe einen Plan“, sagte Darin. „Wir platzieren die Aktoren nördlich des Plateaus. Wenn wir sie einschalten, simulieren sie das Anrücken einer weiteren, viel größeren Wolfshorde. Die angreifenden Wölfe werden Truppen abziehen, um die Flanke zu sichern. Mindestens zehn, denke ich. Und dann…“
Lily grinste breit.
„Und dann machen wir Lilys Augen-zu-und-durch-Taktik?“
„Genau“, sagte Darin. „Wir haben maximal drei Minuten, um die verbliebenen Wölfe zu erledigen, bevor sie den Schwindel bemerken.“
„Yay, Baby! Gimmie Five!“
Lily klatschte mit Rawenna ab. Darin lächelte. Seine Mutter und Lily waren sich fast zu ähnlich. Draufgängerisch bis zur Schmerzgrenze.
Funny lächelte stolz. Das war ihr Darin. Gib ihm Zeit, und er besiegt eine Armee mit fünf kleinen Metallboxen.
„Was ist mit dir, Bob?“ fragte Rawenna. „Kommst du mit?“
„Ich lasse meine Freunde nicht im Stich“, sagte er fest, obwohl er noch zitterte.
„Dann LOS! LOS! LOS!“ riefen Lily und Rawenna gleichzeitig.
Die Schlacht am Plateau
Sie flogen. Bob wurde von Rawenna und Lily getragen, um schneller zu sein. Am Horizont sahen sie das Plateau. Kleine Lichtblitze zuckten dort oben – Gabriellas Magie hielt noch stand, aber sie wurde schwächer.
„Los geht’s!“ rief Funny.
Darin, Lily und Funny schossen nach Norden und platzierten die Aktoren im weiten Halbkreis. Dann kehrten sie zu Rawenna und Bob zurück.
„Jetzt“, flüsterte Darin und drückte einen Knopf auf seiner Fernbedienung.
AAHUUUUUUU!
Ein infernalisches Geheul brach los, durch Darins Technik besonders laut. Es klang nicht nach fünf Wölfen, sondern nach fünfzig. Der Boden vibrierte leicht. Auf dem Plateau hielten die echten Kriegswölfe inne. Sie witterten. Eine neue, riesige Bedrohung im Norden? Der Alpha-Wolf bellte einen Befehl. Sofort löste sich ein Teil des Rudels – zehn riesige Bestien, wie Darin es vorhergesehen hatte – und stürmte den Aktoren entgegen.
„Jetzt!“ schrie Lily.
Funny, Lily, Darin und Rawenna stürmten das Plateau, Bob kam gar nicht so schnell mit. Die verbliebenen acht Wölfe wussten nicht, wie ihnen geschah. Lily wirbelte mit ihrer Naginata wie ein Derwisch. Zack. Zack. Zwei Wölfe fielen. Rawenna köpfte einen dritten mit einem eleganten zischenden Hieb ihrer beiden Dolche und schlitzte einen vierten der hoch sprang, den Bauch auf. Funny schützte Bob mit Barrieren und streckte mit zwei gut plazierten Hieben zwei Bestien zu Boden. Darin eliminierte gleich zwei auf einmal mit einem gewaltigen Hieb seiner Axt.

Es dauerte keine zwei Minuten und es lagen acht tote Wölfe im Schnee.
Die drei Abenteurer – Gabriella, Losann und Laina – kauerten hinter einem Felsen, völlig am Ende ihrer Kräfte. Sie starrten ihre Retter ungläubig an.
Doch der Kampf war noch nicht vorbei. Im Norden erkannten die zehn anderen Wölfe den Betrug. Wütendes Geheul brandete auf. Sie kehrten um.
„Macht euch bereit“, rief Rawenna und wischte Wolfsblut von ihrer Klinge. „Runde zwei.“
Die Wölfe stürmten den Hang hinauf, doch fehlte ihnen nun das Überraschungsmoment. Und sie rannten gegen vier kampferprobte A-Rang-Veteranen an. Es war ein kurzes, brutales Gemetzel. Als der letzte Wolf fiel, wurde es totenstill auf dem Plateau.
Bis sich Lily und Rawenna abklatschten. Das löste die Anspannung. Und die Heilzauber von Funny taten ein Übriges.
Rückkehr
Der Rückweg war langsam. Die geretteten Abenteurer waren schwer verletzt und nur notdürftig zusammen geflickt. Es war weit nach Mitternacht, als sie JWD erreichten.
Rawenna feuerte sofort den großen Herd an.
„Suppe! Verbände! Wein!“
Lily half ihr, schnippelte Gemüse und reichte Tränke. Die beiden lachten und scherzten, als kämen sie von einer Party und nicht von einem Schlachtfeld.
Funny und Darin saßen erschöpft am Tisch und beobachteten das Treiben.
„Unglaublich“, murmelte Darin kopfschüttelnd. „Für die beiden war das der beste Tag des Jahres.“
Funny lehnte ihren Kopf an seine Schulter und schloss zufrieden die Augen.
„Lass sie. Solange sie auf unserer Seite kämpfen, ist alles gut.“
Darin, der sich nicht zu rühren wagte, antworte: „Da hast du recht.“

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