Der Vormittag war bereits weit fortgeschritten, als Funny sich endlich aus ihren kuscheligen Kissen schälte. Es war der vierte Advent, und ein Blick aus dem Fenster bestätigte: Die Natur hatte über Nacht eine frische, dicke Schicht Puderzucker über das Land gelegt. Alles war still, friedlich und weiß.
Auf dem Flur schlich Funny auf Zehenspitzen an der Tür vorbei, die die Aufschrift „Drachenhöhle – Betreten auf eigene Gefahr“ trug. Drinnen herrschte absolute Stille, doch Funny wusste, dass es in Lilys Kopf gerade alles andere als leise zuging.
Während Funny an der Tür lauschte, befand sich Lily in ihrem ganz persönlichen Traumland. In ihrer Vorstellung ritt sie auf einem scharlachroten Prachtexemplar von einem Drachen durch Wolken aus flüssigem Gold. Sie spürte den Wind in ihren Haaren und die Hitze der Schuppen unter ihren Beinen. In diesem Traum war sie nicht die Wächterin, die Berichte schreiben oder Pressetermine wahrnehmen musste; sie war die legendäre Drachenflüsterin. Sie half gerade einer Drachenmutter, ihre Eier gegen herannahende Frostriesen zu verteidigen, indem sie mit einer magischen Naginata aus reinem Sonnenlicht um sich schlug. Ihr Bett war in diesem Moment kein einfaches Gestell aus Holz, sondern ein weiches Nest aus Wolken und Drachenflaum. Lily murmelte im Schlaf etwas von „mehr Feuer“ und kuschelte sich noch tiefer in ihre Decke.

Aus der Küche drang der vertraute Duft von frisch gebrühtem Kaffee, verfeinert mit einer deutlichen Note Zimt. Funny betrat den Raum und fand Darin am Tisch vor, der in ein Schema für Äther-Wellen-Frequenzen vertieft war.
„Guten Morgen“, sagte Funny mit einem hellen Lächeln.
Darin blickte auf, und sein Gesicht erhellte sich augenblicklich. Er schob ihr nicht nur eine dampfende Tasse entgegen, sondern auch den Korb mit frischen Brötchen.
„Ein freier Sonntag fängt mit einem guten Frühstück an. Wie hast du geschlafen?“
„Hervorragend“, antwortete Funny, während sie sich setzte. „Hast du heute Pläne? Oder gönnst du deiner Werkstatt auch mal eine Pause?“
Darin nippte an seinem Kaffee.
„Ich bin mit meinem Holo-Kommunikations-Projekt in der Endphase. Wenn alles glattläuft, können wir es demnächst testen. Und du?“
Funny kicherte.
„Heute ist der vierte Advent, Darin. Ich werde backen. Wenigstens an einem Sonntag in diesem Monat möchte ich die Tradition wahren.“
Darin lächelte und erhob sich, um ihr Platz zu machen.
„Die Küche gehört dir, Meisterin der Aromen.“
Backen ist Strategie
Nachdem sie gemeinsam abgeräumt hatten, verwandelte Funny die Küche in ihr persönliches Hauptquartier. Sie erinnerte sich an Lilys Worte: „Ohne einen perfekten Plan geht es bei euch nicht.“
Funny betrachtete die Zutaten.
„Ja“, murmelte sie zu sich selbst. „Ohne Plan artet das hier in eine Mehlschlacht aus. Aber Backen ist Liebe – also darf die Perfektion heute mal Pause machen.“
Sie kicherte, wohl wissend, dass sie trotzdem jedes Gramm exakt abmessen würde.
Sie nahm den großen Holzlöffel in die Hand wie einen Taktstock.
„Achtung! Stillgestanden! Alles hört auf mein Kommando!“
Mit einem kleinen Funkeln in ihren Augen und einem sanften Magie-Impuls ordneten sich die Zutaten auf der Arbeitsplatte in Reih und Glied an. Die Schüsseln rückten in Position. Funny jonglierte mit den Teigrollen und Förmchen, als würde sie eine Elite-Einheit dirigieren.

Die Chibi-Revolte
Währenddessen ging es im Keller weniger friedlich zu. Darin starrte auf einen kleinen Projektor, über dem eine 15 Zentimeter große Chibi-Version von ihm selbst schwebte – mit riesigem Kopf, kleiner Brille und einem winzigen, rutschenden Shirt.
„Nein“, sagte der Mini-Darin mit einer quiekigen, aber herrischen Stimme. „Ich weigere mich, nur ‚Bin auf dem Heimweg‘ zu sagen. Ich will ausdrücken, dass ich müde bin und dringend Kuchen brauche!“
Darin rieb sich die Schläfen.
„Das ist ein Kommunikationssystem, Mini-Darin. Kein Tagebuch.“
„Effizienz ist die Feindin der Persönlichkeit!“, konterte die Projektion. „Wenn Maxi-Darin Funny eine Nachricht schickt, sollte ich wenigstens ein paar Herzchen-Effekte im Hintergrund haben, findest du nicht?“
Darin wurde schlagartig rot.

„Das… das steht nicht im Protokoll!“
„Ich bin eine künstliche Persönlichkeit basierend auf deinem Unterbewusstsein“, dozierte der Chibi. „Du willst die Herzchen. Gib es zu!“
Darin drückte genervt den Stop-Button. Die kleine Figur verschwand.
„Der quatscht zu viel“, murmelte Darin. „ich bau es um und vielleicht nenne ich es einfach Short Message System… SMS. Aber erst mal Mittagessen.“
Das Erwachen
Als Darin in die Küche kam, duftete es bereits himmlisch nach Vanille und Zimtsternen. Funny hatte alles so präzise vorbereitet, dass das Mittagessen – Lydias Reste vom Vortag – sofort auf den Tisch konnte.
Plötzlich gab es oben ein dumpfes Grollen, gefolgt von einem Patsch-Patsch-Geräusch auf der Treppe. Lilys Traumreise war beendet. Funny tippte kurz eine Tasse und die Kanne Lily-Spezial an. Die Kanne erhob sich, goss im Flug ein und landete punktgenau vor Lily, die mechanisch danach griff. Sie nahm zwei tiefe Schlucke und stieß einen langen Seufzer aus.
„Dass ihr die Besten seid, wisst ihr, oder?“, krächzte sie.
Funny und Darin lachten.
„Na klar, Lily.“
Beim Essen fragte Funny: „Was hast du am Nachmittag vor? Wir haben den 4. Advent!“
„Ich bin zum Schlittenfahren mit den Nachbarskindern verabredet“, antwortete Lily begeistert. „Wir wollen ein Wettrennen am Rodelberg veranstalten!“
Adventszauber
Der Nachmittag verlief wunderbar. Während Funny die zweite Runde Teig dirigierte und Darin im Keller an der Fehlerkorrektur seines „SMS“ arbeitete, war Lily die Königin des Rodelbergs. Sie raste mit den Kindern den Hang hinunter und baute zum Abschluss einen Schneemann, der so groß war, dass er fast über den Gartenzaun blicken konnte.
Als die Dämmerung einsetzte, kehrte Lily heim, die Wangen glühend rot. Auf dem Tisch wartete ein großer Teller mit Funnys Kunstwerken (nach Lydias Geheimrezept) und ein dampfender Kakao.
„Funny…“, murmelte Darin mit vollem Mund. „Das ist… logisch betrachtet… das Beste, was ich je gegessen habe.“
Der Abend klang gemütlich aus. Darin saß in seinem Sessel und schraubte an einem Bauteil, Funny las in einem alten Buch.
Und Lily? Sie lag auf dem Teppich vor dem Kamin. Ihren Kopf hatte sie auf einen großen, grünen Kuscheldrachen gebettet, den sie fest umschlungen hielt. Es war ihr absoluter Schatz – die Plüschfigur, die sie am 2. Dezember auf dem Weihnachtsmarkt von Civitas Aurelia gewonnen hatte. Funny und Darin erinnerten sich lächelnd daran, wie Lily den ganzen Nachmittag lang die kleine Cattie bespaßt hatte, während Darin das Verschwinden des Mädchens aufklärte.
Noch bevor sie ihren Kakao ganz ausgetrunken hatte, war Lily einfach eingeschlafen – glücklich schnarchend auf ihrem „Beute-Drachen“, während draußen leise die Flocken des 4. Advents gegen die Fensterscheiben tanzten.


































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