Für viele von uns ist „Lady Oscar“ untrennbar mit dem Nachmittagsprogramm von RTL2 um die Jahrtausendwende verbunden. Doch hinter diesem vermeintlichen Kindheits-Anime steckt eines der einflussreichsten Werke der japanischen Popkultur. Jetzt, da Amazon Prime Video sowohl die deutsche als auch die japanische Originalfassung anbietet, lohnt sich ein zweiter, erwachsener Blick mehr denn je.
Hinter den Kulissen: Ryoko Ikedas Vision
Um die Tragweite dieser Serie zu verstehen, muss man ins Jahr 1972 zurückblicken. Die Mangaka Ryoko Ikeda schuf mit „Die Rosen von Versailles“ (Versailles no Bara) ein Phänomen. Sie revolutionierte das Shōjo-Genre (Mädchen-Comics), indem sie historische Fakten der Französischen Revolution mit hochdramatischer Fiktion verwebte.
Ein spannendes Detail für den nächsten Trivia-Abend: Ikeda ließ sich für das androgyne Aussehen von Oscar François de Jarjayes von dem schwedischen Schauspieler Björn Andrésen inspirieren, der damals durch den Film „Tod in Venedig“ als „schönster Junge der Welt“ galt. Diese kühle, unnahbare Ästhetik prägte Oscars Design maßgeblich.
Der Anime von 1979, unter der Regie der Legenden Tadao Nagahama und später Osamu Dezaki (bekannt für seine stilisierten „Postkarten-Standbilder“ in dramatischen Momenten), fing diese Eleganz perfekt ein. Er gilt bis heute als optisch und erzählerisch wegweisend.
Der große Vergleich: Deutsche Nostalgie vs. Japanische Dramatik
Die deutsche Synchronfassung ist kultig, keine Frage. Sie ist handwerklich solide und weckt sofort nostalgische Gefühle. Doch im direkten Vergleich offenbaren sich Welten:
- Die Atmosphäre: Die deutsche Fassung (RTL2) wurde, wie damals üblich, leicht „geglättet“. Man wollte ein jüngeres Publikum nicht verschrecken. Dialoge wurden oft vereinfacht, um sie verständlicher oder weniger „theatralisch“ zu machen.
- Die Stimmen: Im Japanischen hört ihr echte Seiyū-Legenden (Synchronsprecher), die ihre Rollen nicht nur sprechen, sondern förmlich durchleiden. Die japanische Art zu schauspielern ist in Anime oft expressiver und melodramatischer. Wenn Oscar im Original ihre Stimme erhebt, schwingt eine Autorität und Tragik mit, die in der deutschen Version oft einer gewissen „Braveness“ weicht.
- Der Tonfall: Ein gutes Beispiel ist oft schon der Vorspann. Das deutsche „Lady Oscar, wild wie der Wind…“ ist ein eingängiger Popsong, der Abenteuer verspricht. Das japanische Original „Bara wa Utsukushiku Chiru“ (Die Rosen fallen wunderschön) ist dagegen ein melancholisches Chanson, das von Anfang an klar macht: Hier geht es um Vergänglichkeit und ein tragisches Schicksal.
Warum das Original (OmU) ein Muss ist
Wer die Serie nur auf Deutsch kennt, hat quasi die „Light-Version“ gesehen. Im japanischen Originalton (mit deutschen Untertiteln) entfaltet sich die volle Wucht des Melodrams. Die Beziehungen zwischen den Charakteren – besonders die subtilen Nuancen zwischen Oscar und André oder die naive Weltfremdheit von Marie Antoinette – wirken im Japanischen oft vielschichtiger, da die dortige Höflichkeitssprache und Hierarchie in der Stimme Nuancen transportiert, die im Deutschen schlicht nicht existieren.
Fazit: Nutzt die Gelegenheit auf Prime Video, solange sie besteht. Schaut euch zumindest die Schlüsselszenen (ihr wisst schon, welche…) einmal im Original an. Es ist, als würde man ein geliebtes Gemälde plötzlich ohne den Grauschleier der Jahre sehen – die Farben leuchten kräftiger, und der Schmerz geht tiefer.

Infos
Titel: Lady Oscar
Start: ab sofort
Anbieter: Amazon prime





































Schreiben Sie einen Kommentar