Fortsetzung von „Schatten über dem Feenwald„
Es war ein ruhiger Nachmittag im Büro der drei Blumenelfen. Funny saß auf einem kleinen Hocker, die Beine überkreuzt, und sortierte Schriftrollen in einem Regal. Darin, wie immer ein wenig ernster als seine quirlige Kollegin, war über Kartenmaterial gebeugt. Seine Fingerspitze glitt über eine neue Route zur Grenzmarkierung, die er für die südlichen Lichtwiesen überprüfte.
„Ich sag’s dir, wenn wir das noch optimieren, sparen wir mindestens zwei Stunden Flugzeit bei den Botengängen“, murmelte Funny und ließ eine der Rollen auf Darins Tisch plumpsen.
Er antwortete nicht. Nur ein leises Brummen kam von ihm, halb Zustimmung, halb Konzentration.
In diesem Moment flog die Tür mit einem lauten Krachen auf. Lily stürmte herein – das lange, rote Haar wehte hinter ihr her wie ein Banner von Elfenland im Wind. In den Händen hielt sie eine edle Pergamentrolle, versiegelt mit dem königlichen Wappen.
„Post vom Palast!“ rief sie atemlos. „Und nicht irgendeine! Seht nur!“
Funny ließ alles fallen. „Gib her!“
Sie riss Lily die Rolle regelrecht aus der Hand, brach das Siegel auf und rollte sie auf dem Tisch aus. Ihre Augen wurden groß, während sie vorlas:

Funny starrte auf die Schrift. Dann drehte sie sich langsam zu den anderen.
„Ein königlicher Ball…“ hauchte sie. „Oh. Mein. Gott.“
Lily quietschte auf.
„Ich weiß gar nicht, was ich anziehen soll!“
Darin legte die Karte zur Seite.
„Vielleicht denkt ihr erst einmal ans Atmen, bevor ihr noch kollabiert.“
Funny grinste.
„Warte, bis du uns in unseren Kleidern siehst, dann wirst Du vergessen haben, wie man atmet.“
Darin lächelte versonnen und Lily kicherte: „Fun-chan, ich denke, dich haut es vor ihm aus den Socken, wenn du ihn in einem schicken Aufzug siehst.“
Funny lächelte erneut, dieses Mal sehr verträumt.
Am Tag des Balls, kurz vor Abfahrt
Funny wirbelte vor dem Spiegel. Ihre Seidenkleid in violettem Glanz reflektierte das Kerzenlicht wie Tautropfen in der Morgensonne.
„Darin?“ rief sie über die Schulter. „Wie seh ich aus?“

Er trat ein – frisch gekleidet in einen schlichten, aber sehr eleganten Anzug, sein weißes Hemd leuchtete regelrecht. Als er Funny sah, hielt er für einen Moment inne.
„Wunderschön“, sagte er leise.
Funny errötete, wich aber seinem Blick nicht aus. „Und du… du bist gar nicht mal so schlecht. Für einen Blumenelfen mit Knitterblick.“
„Das ist kein Knitterblick. Das ist Konzentration. Ich darf nicht vergessen zu atmen“
Funny kicherte: „Ja klar.“
Lily kam hereingeschwebt. Sie trug ein Kleid in zartem Lindgrün, arm- und schulterfrei.
„Die Kutsche ist da… aber… sie ist spät.“
Die drei traten hinaus. Die Kutsche wartete in der Einfahrt, das Wappen des Feenreichs auf der Tür.
Darin runzelte die Stirn. Ein tiefer, frischer Kratzer zog sich über das hintere Holz. Seltsam. Und beunruhigend.
Auf dem Weg zum Palast
Die Kutsche rollte gemächlich über den mit Blütenstaub gepflasterten Weg, durch silbrig schimmernde Alleen in Richtung des Palastes. Das leise Klirren der Räder über die Magiekristalle war fast meditativ – doch im Inneren der Kutsche herrschte alles andere als Ruhe.

„Meint ihr, es gibt Himbeerschaum auf dem Buffet?“ fragte Lily mit funkelnden Augen.
„Wenn nicht, beschwere ich mich persönlich bei der königlichen Küche“, antwortete Funny prompt, und ließ sich dramatisch in die Sitzpolster fallen. „Ich meine – man kann doch keinen königlichen Ball ohne Himbeerschaum feiern.“
„Oder ohne schokolierte Feenfrüchte!“, ergänzte Lily, die sich sofort wieder aufrichtete. „Ich will mindestens ein Tablett davon. Nur für mich.“
„Vergiss die Feenfrüchte“, warf Funny ein. „Ich will ein Orchester, das extra für mich ein Blütenwalzer-Medley spielt.“
„Oh! Und du tanzt den ersten Tanz mit Darin!“
Lily klatschte begeistert in die Hände.
Funny verschluckte sich fast vor Schreck. „Was?!“
„Natürlich!“, sagte Lily und grinste über das ganze Gesicht. „Das ist der Moment, auf den wir alle gewartet haben.“
Funny blinzelte. „‚Wir‘? Wer genau ist wir?“
„Na ich. Und alle, die halbwegs aufmerksam beobachten können.“
„Lily…“
„Jaja, schon gut. Ich sag ja nichts mehr.“
Lily zwinkerte verschwörerisch. „Aber wenn heute nicht irgendwas zwischen euch passiert, dann weiß ich auch nicht.“
Funny seufzte und lehnte sich zurück. Dann begann sie zu kichern.
„Du bist unmöglich.“
„Ich bin eine visionäre Kupplerin mit ausgezeichnetem Blick für Chemie.“
Sie kicherten beide, lachten über ihre Wunschmenüs, warfen sich ihre Vorstellungen von himmlischen Tänzen zu und hofften auf zufällig heranfliegende Palastelfen der königlichen Garde.
Funny mit einem übertriebenen Seufzen: „Oh, wie tragisch – er war so schön, aber er ist auf einer Chrysanthemenblüte ausgerutscht und in meine Arme gefallen…!“
Lily quietschte: „Nein! Ich will, dass meiner mit dem Tablett schokolierter Feenfrüchte in mich reinläuft und wir fallen beide in eine Torte!“
„WENN es Torte gibt“, rief Funny, „will ich eine mit Erdbeerkrönchen und Lavendelsahne!“
„Und mit Zuckerkristallen in Schmetterlingsform!“
Sie quietschten. Lachtränen standen ihnen in den Augen.
Nur Darin war still.
Er saß in der Ecke der Kutsche, den Blick aus dem Fenster gerichtet, das Kinn auf der Faust abgestützt. Die Stimmen der Mädchen waren wie ein ferner Glockenklang – fröhlich, klar, irgendwie beruhigend. Und gleichzeitig… störte ihn etwas.
Der Kratzer.
Er war tief. Frisch. Zielsicher. Nicht wie eine zufällige Schramme von einem Ast oder einem engen Durchgang.
Nicht einmal poliert.
Nicht einmal verborgen.
Kriegsbestien… Als wir sie das letzte Mal bekämpft haben, konnten einige entkommen. Sie waren verletzt, orientierungslos – aber gefährlich. Und wütend. Aber das war außerhalb des Palastgebiets. Kein Monster hat es je bis in den Inneren Ring geschafft. Und schon gar nicht unbemerkt.
Er kniff die Augen zusammen. Die Lackierung an der hinteren Ecke der Kutsche – aufgerissen. Keine Schleifspur. Kein Blütenstaub daran. Also… neu. Frisch. Keine zwei Stunden alt.
Warum hat niemand etwas bemerkt?
Warum hat niemand etwas gesagt?
Ein Rascheln neben ihm ließ ihn aufhorchen. Funny hatte sich ihm zugewandt und stupste ihn an.
„Sag mal, Darin… du bist ja stiller als sonst. Nervös?“
Ihre Stimme war halb besorgt, halb neckend.
Er sah sie an – ihre Wangen leicht gerötet vom Lachen, ihre Augen glänzend, das Kleid ein wenig schief gerutscht, weil sie vorhin beinahe rückwärts vom Sitz gefallen wäre.
„Vielleicht“, sagte er knapp. „Oder vorsichtig.“
„Ohhh, wie romantisch! Der stille Held!“, quietschte Lily, rutschte näher und stieß ihn auch noch einmal an.
„Darin! Der dunkle Denker! Der Schweigsame! Der mit dem Doppelkinnblick der Tiefe!“
„Es heißt Dämmerblick“, murmelte er.
„Ich bleib bei Doppelkinnblick“, grinste Lily.
Funny lachte laut. „Armer Darin. Eingekesselt von albernen Elfenmädchen.“
Ich bin tausendmal lieber eingekesselt von euch, als von Kriegsbestien, dachte Darin – sagte aber nichts.
Die Mädchen redeten weiter, träumten, planten, kicherten – und bemerkten nicht, dass Darins Blick immer wieder zum Fenster glitt. Immer wieder zu diesem einen Gedanken zurückkehrte:
Etwas stimmt nicht.
Doch heute war Frühlingsball. Heute wurde gefeiert. Darin schüttelte den Kopf, um die zu nichts führenden Gedanken zu vertreiben.
Wenn es sein musste, dann würde er wachsam sein – für sie beide. Für Funny. Und Lily. Und vielleicht… für mehr als das.
Im Palast
Die Kutsche fuhr durch das äußere Tor des Palastareals. Plötzlich war alles still. Selbst Funny verstummte einen Moment lang, als sie durch das Fenster sah.
Vor ihnen erhob sich der Palast der Kronfamilie – hoch und hell, gebaut aus lichtdurchflutetem Quarzstein, durchzogen von schimmernden Rankengittern aus lebendigem Goldlaub. Über die Türme spannte sich ein magischer Baldachin aus Lichtblüten – sie öffneten sich mit jeder vollen Minute wie ein Uhrwerk, jede Knospe in perfektem Rhythmus.
„Das ist…“, hauchte Lily.
„… wie aus einem Traum“, flüsterte Funny.
„Oder einem Katalog für Elfenhochzeiten“, murmelte Darin etwas nüchterner.
„Oh, wie romantisch. Willst du mich etwa fragen, Darin?“ neckte Funny mit einem Seitenblick.
Darin lächelte und schüttelte den Kopf
Lily gluckste.
„Ich find das süß! Ihr passt so gut zusammen. Ich mein, guck euch doch an: Sie in Violett, du in Mitternachtsgrau. Wie Nacht und Dämmerung.“
„Lily…“, mahnte Funny mit hochgezogener Augenbraue.
„Was denn? Ich bin Romantikerin.“
Ein Lakai öffnete die Tür der Kutsche.
„Willkommen im Kronprinzessinnen-Palast“
Sie stiegen aus – und standen in einer neuen Welt.

Der Vorhof zum Ballsaal war mit einem Mosaik aus lebendigem Glas gepflastert. Bei jedem Schritt wuchs unter den Füßen eine neue Blüte, pulsierend, schimmernd, vergehend – und neu erblühend. Ein Zauber, der das Erwachen des Frühlings imitierte.
Sie gingen schweigend, beinahe ehrfürchtig, bis zu den großen Torflügeln. Zwei Wachen in schimmernden Rüstungen aus Lichtstaub und Perlmuttstahl neigten den Kopf.
„Ihr werdet erwartet.“
Der Ball beginnt
Die Tore öffneten sich. Und die Welt explodierte in Licht.
Der Gläserne Saal war riesig – ein halbkugeliger Bau aus kristallinen Wandpaneelen, durchzogen von Ranken aus lebendiger Magie. An der Decke schwebten fliegende Lichtorchideen, die sanft auf die Gäste herabblickten. Über den Boden ergoss sich ein schimmernder Teppich aus Blattgold und zarten Blütenblättern, frisch gestreut, magisch konserviert. Die Luft roch nach Morgentau und Zitronenblüten.
Und es war… voll.
Hunderte Gäste standen in Gruppen beisammen – in prächtigen Gewändern, mit funkelnden Juwelen, magischen Broschen, flatternden Umhängen. Und alle, wirklich alle, schauten nun zur Tür.
Ein Gong erklang. Der Herold trat auf ein kleines Podest.
„Funny, Lily und Darin – die Wächter des Feenlandes!“
Die drei hielten inne.
Funny sah Lily an. „Wir? Wir sind gemeint?“
„Ich glaub, ja.“
„Vielleicht gibt’s noch andere mit diesen Namen?“, flüsterte Darin.
Doch dann spürten sie alle gleichzeitig den leichten Schubs in den Rücken – ein höflicher, aber unmissverständlicher Hinweis des Zeremonienmeisters.
Die drei traten vor.
Und das Publikum… jubelte.
Nicht nur höflich. Nein – mit echter Begeisterung. Applaus brandete auf, begleitet von Rufen, Lachen. Einige verneigten sich. Andere warfen Blumen in den Weg. Die Musik setzte ein – ein festlicher Marsch, begleitet von Harfen und einer flirrenden Kristallflöte.
„Ich glaub‘, der Ball ist… für uns“, flüsterte Lily, während sie mit offenem Mund den Gang entlang schritt.
Funny rang sichtlich mit ihrer Haltung, straffte aber dann die Schultern.
„Na, wenn schon. Dann glänzen wir.“
„Ich bin kein Fan von Aufmerksamkeit“, murmelte Darin.
„Dann bleib nah bei Fun-chan“, grinste Lily. „Sie blendet so stark, da sieht man dich dann kaum.“
Am Ende des Saals, auf einem leicht erhöhten Podest, saß sie: Kronprinzessin Aurelia. Sie war älter als ihre Schwester, die die drei bei ihrer letzten Mission schon kennenlernen durften. Doch die Präsenz von Aurelia war noch beeindruckender. Und sie strahlte Macht aus, magische Macht. Selbst Darin war von den sanften Schwingungen ihrer Magie beeindruckt. Ihr Kleid aus perlmuttfarbener Seide floss in sanften Wellenbewegungen ihren Körper hinab. Ihre Augen, tiefblau, sanft, aber unübersehbar königlich, ruhten auf den Dreien.

„Willkommen“, sagte sie mit warmer Stimme, als sie sich leicht aus ihrem Thronsitz erhob. „Meine Helden.“
Funny verneigte sich tief. Lily beugte sich ehrfürchtig, aber konnte ein freches Grinsen nicht ganz verstecken. Darin nickte nur leicht und sein Blick begegnete dem der Prinzessin mit ruhigem Ernst.
„Das hier…“, sagte die Kronprinzessin, „…ist nicht einfach ein Ball. Es ist ein Dank.“
Tanz und tiefe Blicke
Nach der offiziellen Begrüßung begann die Musik. Funny drehte sich sofort zu Darin.
„Keine Ausrede“, sagte sie, und streckte ihm die Hand entgegen. „Einmal – ganz höflich.“
Er sah sie an – und ganz kurz, wirklich nur ganz kurz, zuckte ein Lächeln über sein Gesicht. Dann nahm er ihre Hand.
„OK. Ein Tanz.“
„Vielleicht zwei.“
„Lily steckt dahinter, oder?“
„Wer weiß?“, antwortete Funny – und zog ihn auf die Tanzfläche.
Die Musik war zu Beginn sanft, fast zurückhaltend – und Funny bewegte sich sicher. Darin folgte ihr mit überraschender Eleganz.

Am Rand stand Lily, neben einem Gardisten – einem dunkelhaarigen Elfen mit breiten Schultern und frechem Grinsen, den sie sich gleich geangelt hatte.
„Siehst du das?“, sagte sie zu ihm.
„Was genau?“, fragte er.
„Darin und Fun-chan. Tanzen. In der Öffentlichkeit. Ohne zu streiten. Und er tritt ihr nicht einmal auf die Füße!“
„Klingt verdächtig nach Zuneigung.“
„Genau! Und ich habe das mit monatelanger, liebevoller Sabotage vorbereitet. Ich bin quasi die romantische Strategin von Feenland.“
Der Gardist schmunzelte.
„Und was ist deine Strategie bei mir?“
Lily nahm einen Schluck Blütensekt.
„Noch in der Ausarbeitung. Aber das Grundkonzept ist charmant, wortgewandt, frech – und mit großem Finale.“
„Ich bin gespannt.“
Das Fest nahm Fahrt auf. Essen, Tanz, Musik, Lobreden. Die drei wurden gefeiert, befragt, umarmt. Es war ein Rausch.
Bis…
Die Schlacht im Ballsaal
Ein fernes Grollen. Dann ein zweites.
„Habt ihr das gehört?“, fragte Darin.
Das ferne Grollen hatte sich mehrmals wiederholt. Niemand schenkte dem Geräusch Beachtung – bis es zu spät war.
Ein markerschütterndes Gebrüll zerriss die Musik. Splitterndes Glas flutete wie Hagel durch den Raum. Schreie. Chaos. Dunkle Silhouetten brachen durch die zerborstenen Fenster. Ungeheuer – groß, golemhaft, mit mächtigen Krallen und schwer gepanzert – stürmten in den Ballsaal.

Funny reagierte zuerst. „Kriegsbestien! Alle RAUS!“
Sie riss einen festlich gedeckten Tisch um, schleuderte mit zitternden Händen einen Schutzzauber. Ein flimmernder Schild aus leuchtender Blütenmagie dehnte sich aus, gerade rechtzeitig, um Darin und die Kronprinzessin hineinzuziehen.
Auch Darin hatte nicht gezögert. Er hatte die Prinzessin gepackt und in Deckung gezogen.
„Bleibt unten, Hoheit!“
„Ich kann helfen!“, keuchte sie und legte die Hände auf seine Brust, über die ein stark blutender Riss verlief, das splitternde Glas hatte Darin die Brust aufgerissen. Ein warmer Glanz ging von ihren Fingern aus. Die Wunde schloss sich sofort.
„Ich kann deine Wunden heilen – aber ihr müsst durchhalten!“
„Wir geben unser Bestes“, sagte Funny, und ließ den nächsten Schild aufflackern.
Blumenelfen. Verteidigung war ihre Stärke – Schutzkreise, Barrieren, Illusionsfelder. Pflanzenwachstum. Doch Angriffszauber? Sie lagen nicht in ihrem Wesen. Keine Feuerbälle. Keine Kettenblitze. Kein direkter Gegenschlag. Ihre Waffen, die sie sich von den Menschen beschafft hatten, lagerten fern in der Zentrale, wo, so hofften Alle, der Alarm schon ohrenbetäubend losgegangen sein sollte. Aber vor dem Frühlingsfest waren die meisten bei ihren Familien und nur eine Notbesetzung hielt die Stellung. Es würde dauern, bis endlich Hilfe kommen würde.
Die Monster spürten das. Sie wurden immer kühner. Krallen rissen an der Barriere, Zähne schlugen Funken gegen die Schutzmagie.
Funny schrie vor Anstrengung.
„Ich kann sie nicht ewig aufhalten!“
„Dann müssen wir improvisieren!“, rief Darin. Er packte einen zerbrochenen Stuhl, schlug ihn mit aller Wucht auf das nächste Biest, das durch einen Riss im Schild dringen wollte. Es jaulte auf – nicht verletzt, aber zurückgestoßen.
Ein zweites Monster kam durch. Darin zog ein abgebrochenes Tischbein und stach es wie einen Speer in das Schultergelenk des Monsters. Wieder kein tödlicher Treffer – aber genug, um es zu verlangsamen.
Funny formte rasch einen neuen Schutzkreis aus Lichtblumen, der ein halbes Dutzend Gäste hinter ihr sicherte.
Lily hatte derweil fast die Hälfte des Ballsaals evakuiert. Ihre Stimme war klar und laut, sie dirigierte die Gäste wie eine Kommandantin.
„Schnell! Zu den Seitentüren! Nicht stehenbleiben! Immer in Bewegung bleiben!“
Dabei warf sie Abwehrzauber um Abwehrzauber.
Ein Schatten stürzte sich auf eine junge Elfe – Lily warf sich dazwischen, erschuf einen Dornenwall aus Reben. Das Monster kreischte und zog sich zurück, doch Lily taumelte, ein Hieb hatte sie an der Schulter getroffen. Ihr Gesicht war bleich, die Kräfte schwanden. Doch die Elfe war gerettet. Vorerst.

Ein Knall. Ein weiterer Fenstersturz. Drei neue Ungeheuer.
„Sie werden immer mehr!“, keuchte Funny. Ihr Schild flackerte.
Darin blutete am Arm. „Wie lange halten wir das noch durch?!“
„Ich… ich weiß nicht!“
Ein gellender Schrei. Lilys Schild brach. Sie konnte ihn nicht aufrecht halten und sackte zu Boden. Gleich zwei Bestien stürzten sich auf sie. Nur ein spontaner, glitzernder Windstoß der Kronprinzessin warf die beiden Angreifer zurück.
„Ich halte eure Wunden in Schach“, rief sie. Ihre Stirn war schweißnass. „Aber ich bin keine Kämpferin! Ihr müsst durchhalten!“
Sie legte eine heilende Hand auf Lilys Schulter, die nun ein goldener Schimmer einhüllte. Lilys Atem beruhigte sich. Sie konnte wieder aufstehen.
Doch die Lage war verzweifelt. Funny kniete bereits, die Hände zitternd erhoben, der nächste Zauber nur noch ein matter Funke. Darin blutete, der improvisierte Speer war zerbrochen. Lily hatte alle Dornenzauber aufgebraucht. Die Bestien umzingelten sie.
Die drei Freunde schauten sich noch einmal in die Augen. Eine einsame Träne stahl sich aus Funnys Augen, als sie den Blick von Darin abwandte.
Dann sprangen die gewaltigen Türen des Ballsaals auf.
„VERSTÄRKUNG!“, brüllte jemand.
„WO IST DIE PRINZESSIN?“
„FUNNY, DARIN, LILY!“
Elfenkrieger stürmten herein. Mit ihnen Freunde der drei – aus der Zentrale. In ihren Händen: die vertrauten Waffen.
Ihre Freunde warf ihnen ihre Waffen entgegen. Lily fing ihr Sturmgewehr auf, Funny wurde zur Scharfschützin und Darin begann bereits Flächen-Terror unter den Angreifern zu säen.

Die Blumenelfen wechselten in den Angriffs-Modus: Ihre magisch verbesserten Menschenwaffen verstärkten ihre natürlichen Kräfte. Funny zielte. Ihr Klack-Klack ließ jedesmal eine Kriegsbestie zu Boden sinken. Lily bohrte tiefe Schneisen in die Angreifer und Darins Minigeschütz riss mit seinem trockenen Bumm-Bumm ganze Scharen von Angreifern von den Füssen.
Sie kämpften Seite an Seite. Keine Rücksicht. Keine Gnade.
Dieses Mal würde keiner der Angreifer entkommen.
Die letzten Bestien fegte es hinweg, eine letzte Explosion.
Dann… Stille.
Zeit zum Luftholen
Der Ballsaal war verwüstet.
Trümmer lagen zwischen den Marmorsäulen. Glasscherben knirschten unter den Stiefeln der Wache. Die prächtigen Tischtücher hingen zerrissen von den Buffets, auf denen noch halbvolle Gläser und zerbrochene Obstschalen standen.
Funny atmete schwer, ließ sich gegen einen Pfeiler sinken. Ihr Scharfschützengewehr fiel ihr aus der Hand. Lily war neben ihr auf dem Boden zusammengesunken, ihre Waffe locker über den Schoß gelegt. Darin stand noch, wenn auch wankend. Ein Kratzer zog sich quer über seine Wange, sein Hemd war zerrissen, aber sein Blick war wachsam.
Die Kronprinzessin stand in der Mitte des Raumes, das Gesicht bleich, aber würdevoll. Ihre Hände leuchteten sanft, während sie nacheinander Verwundete berührte und ihre Wunden heilte. Ohne sie – das war allen klar – hätten Funny, Darin und Lily nicht durchgehalten. Ihre heilende Magie hatte den entscheidenden Unterschied gemacht.
„Ich… ich dachte, jetzt ist es aus“, flüsterte Lily.
„Ja, viel fehlte nicht. Und wieder war es knapp, zu knapp“, sagte Darin. Er sah zu Funny. „Aber wir haben’s geschafft.“
Funny schloss kurz die Augen, dann richtete sie sich mühsam auf.
„So leicht kriegt man uns nicht klein.“
Wiederaufbau – in Rekordzeit
Was danach geschah, war… elfisch. Innerhalb einer halben Stunde hatten Palastmagier und Dienstpersonal damit begonnen, den Saal wieder aufzubauen. Scherben wurden durch feinen Staub ersetzt, der sich zu neuem Glas und Kristall verband. Tische reparierten sich wie durch Zauberhand. Neue Blumenranken sprossen aus den Wänden und schoben sich über die verbrannten Stellen im Holz. Das Orchester, leicht zerzaust noch, stimmte sich neu ein. Ein neues Buffet wurde hereingerollt, dampfend und reich gedeckt.
Funny starrte auf das Wunder.
„Die sind echt nicht zu toppen.“
„Ich wünschte, unsere Wohnung würde sich so selbst reparieren“, murmelte Lily.
Darin lächelte leicht. „Dann wärst du noch fauler.“
Lily streckte ihm frech die Zunge raus.
Ein letzter Zauber richtete ihre Kleidung, wenigstens ein wenig.
Die Ehrung
Ein Gong ertönte. Der Herold trat wieder vor den reparierten Thron. Die Gäste, viele mit bandagierten Armen, andere noch etwas blass, aber alle aufrecht, versammelten sich.
„Funny, Lily, Darin – vortreten!“, rief der Herold mit fester Stimme.
Die drei traten vor. Funny zupfte sich automatisch eine Haarsträhne aus dem Gesicht, Lily trat sich fast auf ihr Kleid, Darin wirkte wie immer ruhig – aber seine Hand zitterte leicht, als er sie hinter dem Rücken verschränkte.
Die Kronprinzessin erhob sich.
„Ihr habt nicht nur meine jüngere Schwester gerettet“, sprach sie laut und mit klarer Stimme, „sondern heute auch mein Leben. Das Volk von Feenland schuldet euch viel und ich euch mehr, als Worte je fassen können.“
Die Schwester der Kronprinzessin brachte ein Kissen mit schimmernden Orden – drei aus warmen Gold und einer roten Rose und drei aus einem Kristall mit einer blauschimmernder Rosenknospe.

„Im Namen der königlichen Familie“, sagte Aurelia, „verleihe ich euch den Orden der Blühenden Hoffnung – und jenen in Gold für Dienste am Herzen des Reiches.“
Ein Raunen ging durch die Halle. Zwei Orden auf einmal – das war höchst selten.
Als die Prinzessin Darin die Orden anlegte, flüsterte sie ihm zu: „Du bist ein stiller Wächter. Aber ich habe gesehen, was du getan hast.“
Darin erwiderte nur: „Ich würde es wieder tun.“
Als Funny an der Reihe war, lächelte Aurelia
„Du bist eine Inspiration für alle Mädchen unseres Landes.“
Funny schluckte. Und lächelte.
Und Lily? Lily ist wieder einmal einfach nur Lily.
„Das sind ganz schöne Klunker“, strahlte sie. Aurelia lächelte. Helden sind halt so.
Ein letzter Tanz
Die Musik begann wieder, leiser diesmal. Zärtlicher. Die Tanzfläche war noch kaum gefüllt.
Funny stupste Darin an.
„Du schuldest mir noch einen Tanz.“
„Ich hab dich eben beinahe in der Schlacht verloren – und jetzt soll ich dich noch beim Tanzen blamieren?“
„Genau“, lächelte sie.
Sie führte ihn zur Tanzfläche. Die Musik war langsam, ein Walzer, voller Wärme und Melancholie. Darin legte eine Hand an ihren Rücken, etwas steif, aber sehr sanft. Funny schob ihre kleine Hand in seine. Ihre Finger verschränkten sich.
„Du hast keine Ahnung, wie viele Jahre ich darauf gewartet habe“, sagte sie leise.
„Auf einen Tanz mit mir?“
„Nein… auf den Moment, in dem du aufhörst, dich hinter deiner Coolness zu verstecken.“
Er schwieg kurz – dann zog er sie fester an sich.
„Dann sollten wir ihn nicht verschwenden.“
Sie tanzten, während um sie herum der Ball sich langsam wieder mit Leben füllte.

Lily in Bestform
„Glaubst du, sie küssen sich jetzt?“, fragte eine Stimme.
Lily stand am Rand, ein frisches Glas Blütensaft in der Hand. Neben ihr stand der Gardist, mit dem sie vor dem Angriff getanzt hatte – ein wenig ramponiert, aber grinsend.
„Ach, Fun-chan zieht’s sicher noch raus. Die genießt das zu sehr.“
„Und was ist mit dir?“, fragte der Gardist.
„Ich? Ich genieße den Abend. Und morgen ist Morgen.“
Sie hob das Glas.
„Auf den Frühling.“
Epilog – Zuhause
Es dämmerte. Der Himmel färbte sich in zarten Orangetönen, als die drei in ihr gemeinsames Häuschen zurückkehrten.
Kein Wort wurde mehr gesprochen. Sie schlossen die Tür auf, stolperten durch den Flur, jeder in sein Zimmer. Kleider flogen auf Stühle, Schuhe blieben mitten im Gang liegen. Funny ließ sich rücklings auf ihr Bett fallen.
„Darin…“, murmelte sie.
„Ja?“, klang es aus dem Nebenzimmer.
„Nächstes Jahr tanzen wir wieder. Aber ohne Monster.“
„Deal.“
Lily rief gähnend: „Und mit noch mehr Himbeerschaum! Und die Klunker tragen wir auch.“
Funny kicherte.
Dann: Ruhe.
Ihr erster Frühlingsball würde nicht der letzte sein. Aber dieser würde in Erinnerung bleiben. Immer.

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