Der Morgen im Schloss im Elfental begann ruhig, mit dem Duft von warmen Brötchen und Viennas sanftem Lächeln. Doch die Ruhe hielt nicht lange an. Ein Diener kam an den Frühstückstisch und reichte Vienna ein Stück Papier, das offensichtlich schon einige Abenteuer hinter sich hatte. Es war leicht zerknittert, bunt bemalt und mit Glitzer bestreut.
„Für dich, Lily“, sagte Vienna und reichte ihr lächelnd den Brief.
Lily, den Mund noch halb voll, nahm das Papier entgegen. Auf der Vorderseite stand in großen, etwas windschiefen Buchstaben:
AN DIE ROTE FEE (UNSERE RETTERIN)

Lily schluckte hastig. Sie strich das Papier glatt und las laut vor:
„Liebe Rote Fee! Wir Kinder vom Katzental führen am Sonntag-Nachmittag ein super-spannendes Theaterstück auf. Wir möchten dich und deine beiden Begleiter einladen, unsere Ehrengäste zu sein. Aber vorher, am Vormittag, gibt es die Große Schneeballschlacht der Giganten. Bitte kommt!“
Lilys Augen begannen zu leuchten wie zwei Scheinwerfer. Sie sah aus, als hätte man ihr gerade angeboten, einen Drachen zu adoptieren.
„Funny! Darin! Können wir…?“
Sie musste den Satz gar nicht beenden.
„Ja“, sagten Funny und Darin gleichzeitig.
Beide wussten genau: Wenn Kinder rufen, ist Lily nicht zu halten. Und nach dem Horror mit den Orks hatten diese Kinder ein bisschen Spaß mehr als verdient.
Vienna lächelte warm.
„Dann solltet ihr euch beeilen. In einer Stunde müsst ihr los. Das Katzental ist zum Glück nicht weit weg – du kennst den Weg ja, Funny.“
Funny nickte und ein nostalgischer Glanz trat in ihre himmelblauen Augen.
„Oh ja. Ich habe da als Kind oft gespielt. Meistens musste ich den Schiedsrichter spielen, wenn die Blumenelfen-Kinder und die Katzen-Kinder sich mal wieder nicht einigen konnten, wer den besseren Kletterbaum hat.“
Eine Stunde später: Das Schlachtfeld
Die drei flogen pünktlich ab und landeten keine Viertelstunde später auf dem verschneiten Dorfplatz des Katzentals. Dort herrschte bereits das pure Chaos – im positivsten Sinne. Es war laut, es war weiß, und überall flogen Schneebälle. Die Kinder hatten sich in zwei Lager aufgeteilt: Jungs gegen Mädchen. Überall wuselten kleine Katzenmenschen mit wehenden Schals und zuckenden Ohren herum.
Als die Drei landete, hielt die Schlacht kurz inne. Dann brach ein Jubelsturm los.
„DIE ROTE FEE IST DA!“
Sofort wurden die Teams neu verhandelt. Die Jungs, strategisch denkend, stürzten sich sofort auf Darin.
„Wir nehmen den mit der Brille! Der sieht schlau aus!“ rief ein kleiner Kater und zog Darin am Ärmel zu ihrer Schneeburg.
Die Mädchen umringten Funny.
„Wir nehmen die Blaue! Die kann bestimmt zaubern!“
Nur bei Lily gab es Streit. Beide Seiten zerrten an ihr.
„Wir wollen die Rote Fee!“
„Nein, wir!“
Lily stemmte die Hände in die Hüften.
„Hey, ich bin auch ein Mädchen!“
Der Anführer der Jungs, ein kleiner Kerl mit fehlendem Vorderzahn, winkte großzügig ab.
„Egal! Du hast ’ne coole Waffe und magst Drachen. Du bist Ehren-Junge!“
Funny lachte und hob die Hände.
„Stopp! Wir machen das diplomatisch. Im ersten Durchgang kämpft Lily für die Mädchen. Im zweiten Durchgang wechselt sie zu den Jungs. Einverstanden?“
Die Kinder jubelten.
Runde 1: Magie liegt in der Luft
Der Startpfiff (ein schrilles Pfeifen auf zwei Fingern von Darin) ertönte. Die Jungs legten los wie die Feuerwehr. Ein Hagel aus Schneebällen prasselte auf die Mädchen-Festung nieder.
„Deckung!“ rief Funny.
Sie zwinkerte den Mädchen zu.
„Sollen wir ihnen mal zeigen, was Wintermode ist?“
Niemand hatte verboten, ein klein wenig Magie zu nutzen. Funny wirbelte mit den Fingern. Kleine, lokal begrenzte Mini-Schneestürme bildeten sich über den Köpfen der Jungs. Wusch! Mit einem Mal trug jeder Junge auf dem Feld eine perfekt geformte, riesige Schneemütze, die ihm bis über die Augen rutschte.
„Hey! Wer hat das Licht ausgemacht?“ riefen die Jungs und stolperten orientierungslos herum. Die Mädchen kicherten und nutzten die Chance für Treffer.
Die Jungs bedrängten Darin.
„Darin! Tu was! Wir verlieren!“
Darin schob seine Brille hoch, die voller Schnee war. Er lächelte sein technisches Lächeln.
„Formt schnell ganz viele lockere, fluffige Schneebälle. Nicht festdrücken!“
Die Jungs gehorchten. Darin fuhr mit dem Finger über die Bälle und hinterließ aufihnen leuchtende blaue Runen.
„Ballistische Multiplikation“, murmelte er.
Zu den Jungs sagtre er: „Wenn ihr die jetzt werft, verfünffachen sie sich im Flug.“
Die Jungs warfen. Aus zehn Schneebällen wurden fünfzig. Der Himmel verdunkelte sich vor lauter weißer Pracht, die auf die Mädchen zuaste.
„Achtung!“ schrie ein Katzenmädchen.
Lily grinste. Sie trat vor die Festungsmauer.
„Nicht mit mir, Jungs!“
Sie schnippte kurz. Aus dem Boden schossen grüne Ranken, die sich blitzschnell zu einem elastischen Netz verflochten. Boing! Boing! Boing! Die magischen Schneebälle wurden nicht nur abgefangen – das Netz federte sie mit doppelter Geschwindigkeit zurück.
„Rückzug!“ schrien die Jungs, während sie von ihrer eigenen Munition begraben wurden. Runde 1 ging klar an die Mädchen.
Runde 2: Der Drache erwacht
Seitenwechsel. Lily stapfte hinüber zu den Jungs und klatschte mit Darin ab.
„Jetzt machen wir sie fertig“, flüsterte sie.
Funny sah das Unheil kommen.
„Mädels! Strategie: Tarnung!“
Sie hob die Hände und eine dichte Wand aus wirbelndem Schneegestöber erhob sich vor ihrer Festung. Die Mädchen verschwanden dahinter wie Geister. Die Jungs warfen, aber sie sahen nichts. Und aus dem Nebel kamen präzise Gegenangriffe geflogen.
Patsch. Patsch.
„Wir sehen sie nicht!“ jammerte ein Junge.
Darin reagierte sofort. Er stampfte auf den Boden. Vor den Jungs wuchs eine massive Wand aus komprimiertem Eis und Schnee empor. Ein perfekter Schutzwall.
„Verschanzen!“ befahl General Darin.
Der Sieg neigte sich langsam den Jungs zu, aber es dauerte Lily zu lange.
„Wir brauchen Luftunterstützung!“ rief sie.
Sie bündelte ihre Magie, formte Schnee mit ihren Gedanken. Ein riesiger Haufen Schnee erhob sich, bekam Flügel, einen langen Hals und einen mächtigen Kopf. Ein Schnee-Drache! Er breitete die Schwingen aus und hob tatsächlich ab. Die Kinder starrten mit offenen Mündern nach oben.
Der Drache segelte über Funnys Nebelwand. Er öffnete das Maul. Aber statt Feuer spuckte er eine Gatling-Gun-Salve aus Schneebällen direkt auf die Mädchen.
„Hilfe! Drachenangriff!“ quietschten die Mädchen, halb ängstlich, halb begeistert.
Funny blickte nach oben. Sie sah den Drachen. Sie sah Lily, die unten triumphierend die Fäuste ballte. Funny lächelte. Sie kannte Lily. Und sie kannte Drachen. Sie trat aus der Deckung, direkt in den „Feuerbereich“ des Drachen. Sie legte zwei Finger auf ihre Lippen und warf dem Schnee-Ungeheuer ein zuckersüßes Kusshändchen zu.

Die Magie traf den Drachen. Er stutzte in der Luft. Seine Augen aus Kohle begannen sich wild zu drehen. Sein Herz aus Eis schmolz dahin. Er drehte eine pirouettenartige Rolle, gurrte wie eine Taube – und stürzte ab. Genau auf Lily.
WOMMS.
Lily verschwand unter einer lawinenartigen Menge Schnee, aus der nur noch ein roter Haarschopf herausragte. Stille. Dann brach ein Gelächter aus, das wahrscheinlich bis ins Elfental zu hören war. Lily grub sich prustend aus dem Haufen.
„Okay“, rief sie lachend und spuckte Schnee. „Ich bin für Unentschieden!“
Mittagspause & Theaterzauber
Verschwitzt, nass bis auf die Haut (was dank Magie schnell trocknete), aber überglücklich zog die ganze Meute zur Dorfschule. Dort duftete es herrlich. Im Dorf war es üblich, gemeinschaftlich zu kochen. Auf langen Bänken in der Aula gab es dampfende Nudelsuppen, frisches Brot und heißen Apfelsaft. Es war laut. Es war chaotisch. Cattie, das Mädchen vom Weihnachtsmarkt, saß auf Funnys Schoß und erzählte ihr jeden Witz, den sie kannte. Darin war in eine Diskussion mit drei Jungs vertieft, wie man den Schneedrachen aerodynamisch hätte verbessern können.
Nach dem Essen wurde angepackt. Bänke wurden geschoben, Kulissen aufgebaut. Für die Ehrengäste von Adiuva et Protege wurden drei riesige, plüschige Sessel in die erste Reihe gestellt.
Das Licht wurde gedimmt. Ein Raunen ging durch den Saal. Der Vorhang öffnete sich.
Was dann folgte, war großes Kino. Katzenmenschen sind geborene Schauspieler – dramatisch, beweglich und sehr ausdrucksstark (besonders die Ohren!). Das Stück hieß: „Die Legende der Mutigen Retter“.
Ein kleines Mädchen mit einer roten Perücke aus Wolle fuchtelte wild mit einem Stock (der Naginata). Ein Junge mit einer viel zu großen Brille aus Draht baute an einer Pappkiste (die Maschine). Und ein Mädchen mit blauen Haaren verteilte Blumen an alle. Sie kämpften gegen die „Schrecklichen Orks“ (gespielt von den Vätern, die grunzend über die Bühne krochen).
Funny und Lily waren entzückt. Lily war mehr als nur gerührt, als die „Rote Fee“ auf der Bühne die Katzenkinder rettete. Und Darin? Der saß auf der Stuhlkante. Als auf der Bühne plötzlich ein Pappmaché-Vulkan „echten“ Rauch ausstieß und bunte Blitze (Magie-Konfetti) sprühte, stieß er Funny an.
„Hast du das gesehen? Wie haben die den Zündmechanismus getimt? Ich muss nachher hinter die Bühne!“
Als der Vorhang fiel, tobte der Saal. Es gab Standing Ovations für die kleinen Stars.
Draußen vor der Schule gab es einen kleinen Weihnachtsmarkt. Es dämmerte bereits, und Lichterketten leuchteten gemütlich. Es gab gebrannte Mandeln, kandierte Mäuse (aus Marzipan!), Fischbrötchen und Kekse.
Funny stand mit einem warmen Becher in der Hand da, sah zu, wie Darin den Kindern erklärte, wie man Bühnennebel optimiert, und wie Lily Autogramme auf T-Shirts und Stirnbänder gab.

„Ein perfekter Tag“, murmelte sie.
Lily kam herüber, den Mund voller Kekskrümel.
„Weißt du was, Funny? Naschen ist nicht nur für Katzenkinder das Wichtigste. Sondern auch für Blumenelfen.“
Sie lachten und sahen zu, wie die ersten Sterne über dem Katzental aufgingen.

































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