02:30 Uhr – Ein Hinterzimmer im Opern-Palais
Die Luft in dem kleinen Verhörraum war zum Schneiden dick. Die Auswertung des Piraten-Phantom-Überfalls zog sich nun schon seit Stunden hin. Funny, Lily und Darin saßen auf unbequemen Holzstühlen. Ihnen gegenüber saß ein Beamter der königlichen Sicherheit, ein Mann mit einem Gesicht, das aussah, als hätte er in seinem Leben noch nie gelacht, dafür aber sehr viele Zitronen gegessen.
Er blätterte langsam, quälend langsam, durch seine Notizen.
„Wir müssen klären“, sagte er mit näselnder Stimme, „wie es Ihnen gelungen ist, Kriegswaffen in das Opernhaus zu schmuggeln. Das ist ein gravierender Verstoß gegen Paragraph 14, Absatz 3 der Sicherheitsverordnung.“
Funny rieb sich die müden Schläfen.
„Wie ich Ihnen bereits fünfmal erklärt habe: Wir sind Wächter der Krone. Unsere Waffen sind Teil unserer Ausrüstung. Wir sind immer bewaffnet.“
Der Beamte rümpfte die Nase.
„Das sagen Sie. Aber bei der schnellen Lösungsfindung des heutigen Abends… nun, man muss darüber nachdenken, ob die Wächter nicht selbst als potenzielle Gefahr für die Krone einzustufen sind. Vielleicht haben Sie den Angriff inszeniert, um gut dazustehen?“
Es wurde totenstill im Raum.
Funny riss die Augen auf.
Darin versteifte sich.
Und Lily?
Lily explodierte.
Sssssing.
Das Geräusch von Stahl, der durch die Luft schneidet. Lilys Naginata war plötzlich in ihrer Hand. Mit einer fließenden Bewegung wirbelte sie die Klinge einmal von links und einmal von rechts quer über den Tisch. Der Luftzug war so präzise berechnet, dass der Stapel der penibel sortierten Notizen des Beamten erfasst wurde. Die Blätter wirbelten wie in einem Schneesturm durch den ganzen Raum und segelten langsam zu Boden.

Im nächsten Bruchteil einer Sekunde ruhte die kalte Stahlspitze der Naginata direkt an der Halsschlagader des Mannes. Lily beugte sich vor. Ihre Augen waren dunkel, und ihre Stimme hatte jene gefährliche Schärfe, die man nur in den rauen Gassen des Fischmarkts von Marinburg lernt.
„Wünsch dir niemals, du kleiner Krümelkacker, dass wir Wächter unsere Loyalität vergessen“, flüsterte sie leise, aber jedes Wort war ein Hammerschlag. „Denn du wärst der allererste, der es bitter bereuen würde, uns in den Weg gekommen zu sein.“

Der Beamte erstarrte zur Salzsäule. Die Panik stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er wusste: Sie meint es todernst. Zitternd machte er eine Handbewegung zu den beiden Leibwachen an der Tür. Die Soldaten griffen zögerlich nach ihren Schwertern.
Klack. Wusch.
Bevor die Wachen ihre Klingen auch nur einen Zentimeter ziehen konnten, spürte der eine die kalte Schneide einer schweren Doppelaxt an seinem Hals. Der andere blickte auf das Ende eines magisch blau leuchtenden Dolches, den Funny ihm an die Kehle hielt. Darin und Funny hatten sich bewegt, schneller als das Auge folgen konnte.
Die Wachen ließen sofort die Hände sinken.
„STOP!“
Das Wort durchschnitt die Szene wie ein Donnerschlag. Die Stimme war hell, klar, unmissverständlich und duldete absolut keinen Widerspruch. Bevor das Echo des Wortes verklungen war, waren Axt, Dolch und Naginata bereits wieder in der Itembox verschwunden, als wäre nichts geschehen.
In der Tür stand Aurelia, die Kronprinzessin persönlich. Sie trug noch ihr Abendkleid, aber ihre Haltung war die einer Feldherrin. Sie zeigte auf den blassen Beamten und die Wachen.
„Raus.“
Es war keine Bitte. Der Beamte stammelte etwas, raffte seine Würde (aber nicht seine Papiere) zusammen und flüchtete. Lily zwinkerte erstaunt. Sekunden später waren sie mit Aurelia allein.
Funny machte einen Schritt vor, den Kopf gesenkt.
„Eure Hoheit, ich möchte mich für das Vorkommnis entschul…“
Aurelia hob sofort die Hand.
„Funny, kein Wort. Ich habe einen Teil des Verhörs über das Mithör-System verfolgen ‚dürfen‘. Ich bewundere eure Geduld. Ich hätte schon viel früher die Contenance verloren.“
Sie wandte sich an Lily und lächelte fein.
„Lily, danke, dass du diesen Menschen am Leben gelassen hast. Er ist offensichtlich für den Sicherheitsdienst ungeeignet. Er wird ab morgen die Straßen vor dem Palast fegen.“
Lily grinste breit und verneigte sich tief.
„Danke, Hoheit. Eine sehr weise Entscheidung.“
Aurelia wurde ernst, aber warmherzig.
„Wir holen die Vorstellung beim nächsten Mal nach. Ich wollte mich eigentlich für eure Rettung der Kinder vom Katzental bedanken. Nun muss ich mich für die Rettung meiner Gäste in meinem eigenen Opernhaus bedanken. Wir sind ein weiteres Mal tief in eurer Schuld.“
Sie nickte den dreien zu.
„Eure Kutsche steht bereit. Schlaft gut.“
Der nächste Morgen (oder eher Mittag)
Die Nacht war schon fast dem Morgen gewichen, als drei völlig ramponierte Blumenelfen in ihrem Häuschen ankamen. Die teuren Kleider, der Anzug, die Schuhe – alles landete auf einem Haufen im Flur („Das klären wir später!“), und die Drei fielen wie Steine in ihre Betten.
Es war fast Mittag, als Funny sich entschloss, dass der Tag beginnen musste. Sie schlurfte in Richtung Küche, die Augen noch halb geschlossen.
Poch-Poch-Poch. Ein hektisches Klopfen an der Haustür.
Funny seufzte und öffnete. Herein stürzte Theresa, eine junge Elfe aus der Nachbarschaft. Sie war völlig aufgelöst, Tränen liefen über ihr Gesicht.
„Funny! Hilfe!“

Funny schaltete sofort in den Kümmer-Modus. Sie nahm Theresa in den Arm, führte sie zum Sessel und zauberte in Rekordzeit einen heißen Kakao mit extra Sahne.
„Ganz ruhig, Theresa. Trink. Was ist passiert?“
Theresa schluchzte in die Tasse.
„Wir… wir wollten heute im Dorf den kleinen Weihnachtsmarkt eröffnen. Wir haben alles so schön aufgebaut. Aber heute Vormittag… es rauschte plötzlich, und ein riesiger Schwarm Harpyien fiel über uns her!“ Sie schniefte. „Sie haben die Essensstände geplündert, alles verwüstet, Unrat hinterlassen und sind zischend abgehauen.“
Funny strich ihr beruhigend über den Rücken.
„Wir haben alles wieder aufgeräumt“, fuhr Theresa fort. „Aber gerade eben… sie kamen wieder! Alles ist wieder kaputt. Wir haben Angst, dass sie erneut kommen. Aber um 15:00 Uhr soll der Markt eröffnen! Die Kinder freuen sich doch so!“
Funny holte Luft, um etwas zu sagen, da raschelte es hinter ihr auf der Treppe. Darin und Lily standen dort, hatten alles mitgehört. Lilys Augen funkelten gefährlich. Harpyien, die Kindern den Weihnachtsmarkt versauen? Nicht mit ihr.
Darin rückte seine Brille zurecht.
„Wir kommen mit euch. Ich habe einen Plan.“
Er kam die Treppe herunter.
„Lily hat einen tollen Zauber. Sie lässt über dem Marktplatz ein Netz aus Dornen spannen. Unter das Netz hängen wir Lampions und Deko – sicher geschützt. Über dem Netz schnappen Lilys Dornen nach allem, was sich nähert.“
Er grinste hinterhältig.
„An einer Stelle lassen wir eine Lücke. Jede Harpyie, die durchkommt, wird von Funny gefangen, magisch verschnürt und eingetütet. Dann sind sie ein Fall für die königlichen Zoologen.“
Lilys Augen leuchteten auf.
„Dornenhecken bis zum Umfallen? Yay! Bin dabei!“
Theresa sah von einem zum anderen und ein Hoffnungsschimmer erschien in ihrem Gesicht.
Die Schlacht um den Weihnachtsmarkt
Am kleinen Dorfplatz angekommen, legten sie sofort los. Lily konzentrierte sich. Grüne Energie schoss aus ihren Händen. Über den Ständen wuchsen Ranken, verflochten sich und bildeten eine undurchdringliche Kuppel, besetzt mit daumendicken Dornen. Darin und Funny flogen unter die Kuppel und hängten Lampions, Girlanden und Lichterketten an die Ranken. Es sah fantastisch aus – wie ein verzauberter Wald.
Dann ertönte die Kirchenglocke. 15:00 Uhr. Alles war bereit. Und pünktlich wie ein Uhrwerk hörte man das Rauschen. Ein Kreischen erfüllte die Luft. Ein schwarzer Schwarm von Harpyien stürzte vom Himmel herab, gierig auf die nächste Runde Plünderung.
Sie prallten auf das Netz.
Schnapp. Schnapp. Schnapp.
Lilys Dornen erwachten zum Leben. Sie bissen und schlugen nach den Angreifern. Die Harpyien kreischten wütend, kamen aber nicht an die darunter liegenden Stände heran.
Lily stand unten, schaute hoch und feixte.
„Na? Schmeckt euch das Gemüse nicht?“
Die Harpyien, getrieben von Gier, suchten einen Weg. Sie fanden die eine Lücke, die Darin offen gelassen hatte – ein Trichter direkt über dem Dorfbrunnen. Die erste Harpyie stürzte sich hinein.
Zack.
Funnys magisches Seil schoss hervor. Die Harpyie wurde in der Luft verschnürt wie ein Postpaket und landete sanft, aber bewegungsunfähig auf einem bereitgestellten Heuwagen.
Die nächste folgte. Und die nächste. Darin, der die Pakete auf dem Wagen stapelte, meinte trocken: „Mann, die Viecher sind echt dumm wie Brot.“
Fünfzehn Minuten später war der Spuk vorbei. Der Heuwagen war voll mit schimpfenden, aber harmlosen Harpyien-Paketen.
Ein Jubel brach los. Die Standbetreiber und Besucher klatschten begeistert. Der Markt war gerettet!
Es wurde ein wundervoller Nachmittag.
Es gab gebrannte Mandeln, Glühwein und Bratäpfel. Die Kinder umlagerten Lily.
„Spiel mit uns, feurige Dornenelfe!“ riefen sie. Und Lily, die Kinder über alles liebte, spielte Fangen, Verstecken und ließ kleine, harmlose Dornenfiguren tanzen.
Der Tanz
Am Abend, als die Lampions unter der Dornenkuppel warm leuchteten, spielte eine Band zum Tanz auf. Funny sah Darin an, der am Rand stand und zufrieden seinen Punsch trank. Entschlossen ging sie zu ihm, nahm ihm den Becher aus der Hand und stellte ihn weg.
„Komm“, sagte sie sanft und zog ihn auf die Tanzfläche.
Kaum standen sie dort, brach die Band mitten im Lied ab. Der Rhythmus wechselte. Statt einer Polka erklang ein wunderschöner, langsamer Walzer. Funny und Darin stutzten kurz, fanden dann aber sofort in den Takt. Darin legte seinen Arm um ihre Taille, sie legte den Kopf an seine Schulter. Die Welt um sie herum schien zu verschwimmen.

Am Rand der Tanzfläche stand Lily und zwinkerte dem Bandleader zu, der ihr grinsend den Daumen hoch zeigte. Sie lehnte sich an einen Pfosten und beobachtete ihre beiden besten Freunde. Sie sah, wie Darin Funny ansah – als wäre sie das Kostbarste auf der Welt. Sie sah, wie Funny die Augen schloss und einfach nur glücklich war.
Ein weiches, zufriedenes Lächeln breitete sich auf Lilys Gesicht aus.
„Noch ein paar mehr solcher magischen Momente“, murmelte sie leise, „und unser Haus füllt sich endlich.“
In Gedanken sah sie schon einen ganzen Haufen niedlicher Mini-Darins mit rutschenden Shirts und verstrubelten blauen Haaren und Mini-Funnys mit kurzen silbernen Haaren durch das WG-Häuschen purzeln, während Tante Lily ihnen beibringt, wie man Drachen zähmt.
Es war ein perfekter 17. Dezember.
































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