Spaß mit japanischen Zeichentrickfilmen

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Eine Freundschaft, geschmiedet in Feuer und Dornen

Ein kleiner Funke Mut

Die große Mensa der Abenteurer-Akademie summte vor Leben. Das Klirren von Besteck auf Tellern, das Stimmengewirr hunderter Studenten und der Duft von gebratenem Fleisch und frischem Brot erfüllten die riesige Halle. Das erste Ausbildungsjahr war bereits einige Wochen alt, und die ersten Grüppchen hatten sich gebildet.

Darin saß wie immer allein am Ende eines langen Tisches am Rande des Geschehens. Er schob gedankenverloren ein Stück Brot über seinen Teller und beobachtete aus den Augenwinkeln einen Tisch in der Mitte der Halle. Dort saß Funny. Sie saß ebenfalls allein, las aber in einem dicken Wälzer über die arkane Flora des Süd-Kontinents und aß dabei mit einer anmutigen Langsamkeit einen Apfel. Darin seufzte leise. Sie war wie ein Lichtstrahl in dieser lauten, oft chaotischen Umgebung.

Sein Blick wanderte weiter zur Ausgabetheke. Dort stand Miri, ein junges Katzenmädchen mit samtigen Ohren und einem langen, nervös zuckenden Schwanz, die als Aushilfe in der Mensa arbeitete. Sie wischte ängstlich über die Theke, während eine Gruppe von fünf älteren Elfen vor ihr stand.

Was kaum jemand wusste, hatte Darin schon nach kurzer Zeit erkannt: Diese Fünf waren für die meisten Schandtaten verantwortlich, die an dieser Schule begangen wurden, schafften es aber immer wieder, diese geschickt anderen in die Schuhe zu schieben. Ihr Anführer war ein hochgewachsener Elf mit einem arrogantem Grinsen namens Kael.

„Was ist los, Kätzchen? Hast du eine Maus im Hals?“, höhnte Kael. „Wir haben gefragt, ob es noch von dem süßen Honigkuchen gibt.“

Miri zuckte zusammen.

„E-es tut mir leid“, stammelte sie, die Ohren flach angelegt. „D-der ist für heute leider aus.“

„Aus?“, lachte einer von Kaels Kumpanen. „Oder hast du ihn selbst gefressen, du kleines, gieriges Tierchen?“

Sie stießen einander an und lachten laut, während Miri immer kleiner wurde.

Plötzlich stand eine Gestalt neben ihnen. Klein, zierlich, in hellblau gekleidet und barfuß. Funny hatte ihr Buch zugeklappt und war leise zur Theke getreten.

„Verzeihung“, sagte sie mit einer Stimme, die so klar und ruhig war, dass sie die lauten Sprüche der Rowdies durchschnitt. „Ich glaube, sie hat gesagt, dass der Kuchen aus ist. Wären Sie vielleicht so freundlich und würden sie nun in Ruhe lassen? Andere Studenten möchten auch bestellen.“

In der Halle erstarb das laute Stimmengewirr. Alle Augen waren auf die Ausgabestelle gerichtet.

Kael drehte sich langsam um und musterte Funny von oben bis unten. Ein spöttisches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Na sieh mal einer an. Ein Blümchen. Ein mickriges, kleines Blümchen.“

Die Gruppe grölte.

Funny ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Ihre blauen Augen blickten ihn ohne Furcht an.

„Ich möchte nur, dass Sie die Angestellte der Akademie mit dem Respekt behandeln, den jeder hier verdient.“

Ihr unerwartet fester Ton und die Blicke aller Studenten in der Mensa brachten Kael aus dem Konzept. Er schnaubte verächtlich.

„Pah. Mit so einem schwächlichen Ding geben wir uns nicht ab.“

Er warf Miri einen letzten finsteren Blick zu.

„Wir kommen wieder, Kätzchen.“

Dann zog die Gruppe ab. Miri nutzte den Moment, um mit ihrem Tablett in der Küche zu verschwinden, nicht ohne Funny einen zutiefst dankbaren Blick zuzuwerfen.

Der Vorfall hatte für Aufsehen gesorgt. Mehrere Studenten klopften Funny anerkennend auf die Schulter.

An einem Tisch in der Nähe hatte eine andere Blumenelfe mit feuerroten Haaren das ganze Spektakel mit offenem Mund verfolgt.

„Donnerwetter“, murmelte Lily in ihren Apfel hinein. „Die Kleine hat mehr Mumm in einer Hand als so mancher im ganzen Körper.“

Sie hatte Funny schon öfter gesehen, sie aber als stille Wasserelfe abgetan. Heute hatte sie eine neue Seite an ihr entdeckt.

Und Darin? Er saß immer noch an seinem Tisch, sein Herz pochte ein wenig schneller. Er war stolz auf Funny und gleichzeitig voller Sorge. Er kannte Typen wie Kael. Sie vergaßen so etwas nicht.

Die Falle im Korridor

Später am Nachmittag, als die Sonne schon tief stand und lange Schatten über die Gänge der Akademie warf, war Funny auf dem Weg von der Bibliothek zu ihrem Zimmer. Sie wählte eine Abkürzung durch einen wenig genutzten Korridor im alten Westflügel. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.

Als sie um eine Ecke bog, standen sie da, Kael mit seinen vier Kumpanen. Sie hatten auf sie gewartet.

„Na, Blümchen?“, zischte Kael und trat vor, während die anderen ihr den Rückweg abschnitten. „Dachtest du, du kommst damit durch, uns vor der halben Schule lächerlich zu machen?“

Funny wich einen Schritt zurück, ihr Rücken stieß gegen die kalte Steinwand.

„Ich wollte niemanden lächerlich machen. Ich wollte nur helfen.“

„Helfen?“, lachte ein anderer. „Blumenelfen helfen nicht. Sie sind nutzlos. Zierrat. Mehr nicht.“

Sie kamen näher, ihre Schatten verschluckten sie fast. Funny presste die Lippen zusammen, ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Sie suchte nach einem Ausweg, doch es gab keinen.

„Na, was haben wir denn hier? Fünf große, starke Krieger gegen …“, ertönte eine laute, freche Stimme vom Ende des Ganges. „… lasst mich einmal zählen … ah, eine. Scheint mir ja ein wirklich fairer Kampf zu sein.“

Lily stand da, die Arme in die Hüften gestemmt, ein provokantes Grinsen auf den Lippen. Sie hatte den Lärm gehört und war neugierig geworden. Ihre Stimme troff nur so vor Ironie.

Kael wirbelte herum.

„Misch dich da nicht ein, Rotschopf. Das ist eine Sache zwischen uns und dem Blümchen.“

„Oh, ich glaube, das ist jetzt auch meine Sache“, erwiderte Lily und schlenderte unbekümmert näher. „Ich mag nämlich keine unfairen Kämpfe. Und ich mag euch nicht. Kommt eins zum anderen, wisst ihr?“

Kaels Gesicht verzog sich zu einer zornigen Fratze.

„Letzte Warnung. Verschwinde!“

Er machte einen Schritt auf Funny zu, seine Hand hob sich bedrohlich.

Das war zu viel für Lily.

„Habt ihr nicht gehört?“

Mit einer schnellen Bewegung ihrer Hände und einem geflüsterten Wort schoss Magie aus dem Boden. Dornenranken, dick wie ein Arm, peitschten aus den Fugen des Steinbodens und bildeten in Sekundenschnelle eine wuchernde, undurchdringliche Hecke zwischen den Rowdies und den beiden Mädchen. Die Dornen waren lang und spitz und schnappten nach allem, was sich bewegte. Die Elfen sprangen erschrocken zurück, einer von ihnen schrie auf, als eine Ranke seinen Ärmel erwischte und aufriss.

„Lauf!“, rief Lily Funny zu. „Hol Hilfe! Schnell!“

Funny zögerte, aber der entschlossene Blick in Lilys Augen überzeugte sie. Sie nickte und rannte los.

Lily versuchte ihre Ranken zu verstärken und den Ring enger zu ziehen. Der Lärm hatte bereits andere Studenten darauf aufmerksam gemacht, dass in diesem Korridor ein Kampf tobte. Lily schnürte die fünf Elfen immer weiter ein.

„Was zum Teufel geht hier vor sich?!“

Eine donnernde Stimme ließ den ganzen Korridor erbeben. Am Ende des Ganges stand der Direktor, seine gewaltige Streitaxt lässig über der Schulter, sein bärtiges Gesicht ein Ausdruck grimmigster Missbilligung.

Kael reagierte sofort. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zeigte er auf Lily.

„Direktor! Diese… diese Blumenelfe! Sie hat uns ohne jeden Grund angegriffen! Sehen Sie nur!“

Er deutete auf die vielen Kratzer an seinem Arm und die wuchernde Dornenhecke.

Lily starrte ihn ungläubig an.

„Das ist gelogen! Die haben Funny bedroht!“

Der Direktor sah zu anderen Studenten, die bestätigten, dass Lily die Elfen immer stärker bedrängt hatte. Funny hatte niemand von ihnen gesehen.

Der Direktor musterte die Szene. Er sah die aggressive Dornenhecke. Er sah die fünf Elfen, die sich als Opfer gerierten. Und er sah Lily, die für ihre laute Art und ihre gelegentlichen Streiche bekannt war. Er seufzte schwer, ein Geräusch wie das Mahlen von Mühlsteinen. Er wägte alle Aussagen gegen einander ab.

„Lily“, sagte er mit gefährlich ruhiger Stimme. „Du weißt, dass unprovozierte magische Angriffe strengstens verboten sind. Und nicht toleriert werden!“

„Aber es war nicht unprovoziert!“, schrie Lily, den Tränen der Wut nahe.

„Genug!“, donnerte der Direktor. „Ab zum Toilettendienst. Für eine Woche. Und wehe, ich höre noch ein Wort.“

Lily starrte ihn an, ihr Gesicht eine Mischung aus Schock und Entsetzen. Mit einem unterdrückten Schluchzen drehte sie sich um und stapfte davon, während die Rowdies hinter ihrem Rücken triumphierend grinsten. Das Gefühl, verraten worden zu sein, war für Lily kaum zu ertragen.

Gerechtigkeit und ein Schwur

Funny war jedoch nicht zum Zimmer des Direktors gerannt. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie eine vertrauenswürdige Zeugin brauchte. Sie rannte stattdessen zum Trainingsplatz, wo sie die Elfin Fennja, die Schwertmeisterin der Akademie, vermutete.

Außer Atem schilderte sie Fennja, was vorgefallen war. Die Schwertmeisterin, eine Frau, die Disziplin und Ehre über alles stellte, hörte aufmerksam zu. Ihr Gesicht verfinsterte sich. „Komm mit, Mädchen.“

Gemeinsam betraten sie das Büro des Direktors. Er saß bereits hinter seinem wuchtigen Schreibtisch und polierte den Kopf seiner Axt.

„Direktor“, begann Fennja ohne Umschweife. „Funny möchte sich zum Vorfall im Westflügel äußern.“

Der Direktor blickte auf.

„Erzähl, Mädchen!“, polterte er.

Funny, nun wieder gefasst, erzählte ihre Version der Geschichte. Ruhig, sachlich und ohne Übertreibung. Sie schilderte die Bedrohung in der Mensa und den späteren Hinterhalt. Fennja stand neben ihr, eine stille, aber machtvolle Bestätigung ihrer Glaubwürdigkeit.

Das Gesicht des Zwergen wurde von Minute zu Minute grimmiger. Als Funny geendet hatte, schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch, dass das Tintenfass hüpfte und beinahe umkippte. Er war nicht wütend auf Funny, sondern auf sein eigenes Fehlurteil und die Feigheit der Rowdies.

„Diese… lausigen, lügnerischen Würmer!“, knurrte er. Er aktivierte einen Kommunikationsstein auf seinem Tisch. „Kael und seine Freunde. Sofort in mein Büro. Und holt Lily aus den Latrinen.“

Minuten später standen die fünf Elfen kleinlaut vor dem Schreibtisch, während Lily unsicher in der Tür wartete.

„Ihr habt mich belogen“, sagte der Direktor mit einer Stimme, die kälter war als der eisigste Bergwind. „Ihr habt eine Mitschülerin bedrängt, eine andere zu Unrecht beschuldigt und die Ehre dieser Akademie in den Schmutz gezogen.“

Er stand auf, seine kleine Gestalt schien den Raum auszufüllen.

„Statt einer Woche für Lily, werdet ihr zwei Wochen lang die Toiletten putzen. Jeden einzelnen Tag. Und wenn ich eine einzige Beschwerde höre…“, er ließ den Satz in der Luft hängen, die Drohung war unmissverständlich.

Dann wandte er sich an Lily.

„Es tut mir leid, dass ich dir nicht geglaubt habe. Deine Strafe ist aufgehoben. Du kannst gehen.“

Fennja nahm die Rowdies mit einem eisigen Blick in Empfang.

„Kommt. Eure neue Aufgabe wartet.“

Als sie abgeführt wurden, warf Kael einen Blick über die Schulter. Einen Blick voller Hass, der direkt auf Lily gerichtet war.

„Das wird sie uns büßen“, flüsterte er so leise, dass nur seine Freunde es hörten. „Das schwöre ich.“

An diesem Abend fand man Funny und Lily gemeinsam im Gemeinschaftsraum. Sie saßen zusammen, und Funny, die in den theoretischen Fächern glänzte, half Lily bei ihrem Aufsatz über magische Kreaturen und wo man sie findet.

„Danke“, sagte Lily leise, was für sie eine Seltenheit war. „Niemand hat sich je so für mich eingesetzt.“

„Freunde tun das“, antwortete Funny schlicht und lächelte.

Von diesem Tag an waren sie unzertrennlich. Funny warnte Lily einige Tage später.

„Ich habe gehört, wie Kael und seine Freunde geredet haben. Sie wollen sich an dir rächen. Bitte sei vorsichtig.“

Lily lachte nur unbekümmert.

„Sollen sie doch kommen! Ich mache aus denen Igel-Futter!“

Funny seufzte, aber sie konnte ihre neue Freundin nicht von ihrer sorglosen Art abbringen.

Der Hinterhalt

Einige Tage später fand Lily eine Notiz an ihrer Tür.

‚Triff mich im alten Runen-Hörsaal. Ich habe etwas gefunden, das dich interessieren könnte. Es geht um Drachenschuppen-Runen. P.S. Erzähl niemandem davon, es ist eine Überraschung!‘

Die Schrift war ungelenk, aber der Köder war perfekt. Drachen!

Ohne einen zweiten Gedanken eilte Lily los. Sie dachte nicht an Funny’s Warnung. Ihr Wunsch nach neuem Wissen über ihre Lieblingstiere war zu groß.

Der Runen-Hörsaal im obersten Stock des Magierturms war verlassen. Staub tanzte in den Lichtstrahlen, die durch die hohen, bunten Glasfenster fielen.

„Hallo?“, rief sie in die Stille.

Die schwere Tür schlug hinter ihr zu. Aus den Schatten traten Kael und seine vier Freunde. In ihren Augen loderte ein hässliches Feuer.

„Überraschung, Rotschopf“, grinste Kael.

Lily wirbelte herum, ihre Hände schon bereit für einen Dornenzauber, doch ihre Gegner waren vorbereitet. Zwei von ihnen warfen ein schweres, mit kleinen Bleigewichten beschwertes Netz über sie. Sie stolperte und fiel zu Boden. Bevor sie sich befreien konnte, waren sie über ihr, fesselten ihre Hände und Füße mit rauen Seilen.

„Ihr Feiglinge!“, spuckte sie.

„Still!“, brüllte Kael und schlug ihr brutal ins Gesicht. Der Schlag ließ Sterne vor ihren Augen tanzen.

„Du hast uns gedemütigt! Uns! Vor dem ganzen Abschaum dieser Schule! Eine mickrige Blumenelfe!“

Sie zerrten sie tiefer in den Saal, zu einer alten Eisenkette, die von der Decke hing. Die Wut der Elfen hatte jede Selbstbeherrschung ausgelöscht. Es ging nicht mehr um eine Lektion, es ging um Rache. Und sie wollten Blut sehen.

„Wir haben uns überlegt, was die passende Strafe für dich wäre“, zischte Kael ihr ins Ohr, während seine Freunde sie an der Kette hochzogen, sodass ihre Füße den Boden nicht mehr berührten. „Blumenelfen sind so stolz auf ihre Flügel, nicht wahr? So zart, so nutzlos. Ich frage mich, wie sie aussehen, wenn man sie… ausreißt.“

Ein Schock durchfuhr Lily. Das war keine leere Drohung. Sie sah den Wahnsinn in seinen Augen. Sie wand sich, kämpfte, aber ihre Fesseln schnitten in ihre Haut. Einer der Rowdies zog ein Jagdmesser. Die Klinge blitzte im Licht. Die Angst, die sie so lange unter ihrer frechen Fassade verborgen hatte, brach durch. Der Schmerz, die Demütigung und die Panik waren zu viel. Ein letzter Schlag mit dem Messergriff traf sie am Kopf, und die Welt um sie herum wurde schwarz.

Was die Rowdies nicht wussten: Der Hörsaal war nicht ganz leer. Im kleinen Vorbereitungsraum nebenan saß Darin. Er hatte sich hierher zurückgezogen, um ungestört die Grundlagen der Runenmagie zu studieren, ein Thema, das eigentlich erst im dritten Jahr gelehrt wurde. Er hatte die Tür zufallen gehört und lauschte nun mit wachsendem Entsetzen. Er hörte die Drohungen, Lilys verzweifelte Schreie und das höhnische Lachen der Elfen.

Sein Blut gefror in seinen Adern. Lily. Funnys Freundin. Er war so froh, dass sie nicht mehr alleine in der Mensa sitzen musste. Er musste etwas tun. Aber was? Er war kein Kämpfer. Fünf gegen einen? Aussichtslos.

Er spähte durch den schmalen Spalt der Verbindungstür. Er sah Lily, wie sie bewusstlos und blutend in den Ketten hing. Die Rowdies grölten und stießen auf ihren „Sieg“ an. In diesem Moment war ihm klar, dass er nicht zögern durfte. Sein Blick fiel auf zwei große, unbehauene Granitsteine in der Ecke des Vorbereitungsraums, die als Übungsobjekte für Verwandlungsrunen dienten. Er hatte eine Idee.

Unerwartete Verteidiger

Mit zitternden Händen, aber mit einem messerscharfen Verstand auf Hochtouren, begann Darin. Er holte einen Beutel mit vorbereiteten Runenplättchen aus seiner Tasche. Es waren einfache Aktivierungs- und Bewegungsrunen, die er mit einem Kommando aus der Ferne auslösen konnte. Er presste die Runen auf die kalte Oberfläche der Steine, sein Flüstern war außerhalb des Nebenraumes nicht zu hören.

„Erhebt euch. Schützt. Haltet auf.“

Er atmete tief durch und sprach das Aktivierungswort.

„Konstrukt!“

Im Hörsaal hielten die Rowdies inne. Ein knirschendes Geräusch ertönte. Die beiden Granitsteine im Vorbereitungsraum begannen zu vibrieren. Risse bildeten sich, und aus den Steinen formten sich zwei grobschlächtige, würfelförmige Gestalten. Golems. Nicht perfekt, aber sie würden genügen.

Die Tür zum Vorbereitungsraum sprang auf und die beiden Steingestalten trampelten in den Saal.

Die Rowdies starrten die Golems mit einer Mischung aus Unglauben und Panik an.

„Was ist das?!“

Die Golems verschwendeten keine Zeit. Mit schwerfälligen, aber unaufhaltsamen Bewegungen gingen sie auf die Elfen los.

Das war Darins Chance. Während die Rowdies panisch versuchten, die Steinkolosse mit Fäusten und Tritten abzuwehren, schlüpfte er in den Hörsaal. Er rannte zu Lily, zog ein kleines, scharfes Werkzeug hervor und durchtrennte die Seile an ihren Handgelenken. Vorsichtig fing er ihren schlaffen Körper auf und ließ sie sanft auf einen der Hörsaalstühle gleiten.

„Lily?“, flüsterte er. „Wach auf.“

Das kalte Holz des Stuhls und Darins leise Stimme holten Lily zurück ins Bewusstsein. Sie blinzelte, sah Darin, dann die kämpfenden Rowdies und die Golems. Die Erinnerung kam zurück wie ein Peitschenhieb. Ihr Gesicht, blass vor Schmerz, wurde hart vor Zorn.

„Diese… Schweine!“, knirschte sie, während ihr Tränen über das Gesicht rannen.

Mit einem wütenden Aufschrei sprang sie auf. Sie ignorierte den Schmerz. Pure Wut durchströmte sie. Sie schleuderte ihre Hände nach vorne und eine massive Dornenhecke schoss aus dem Boden, trennte zwei der Elfen vom Rest der Gruppe und peitschte nach den anderen.

Doch die Golems waren, wie Darin wusste, nur ein einfacher unvollkommener Versuch. Mit einem lauten Krachen zerfiel der erste zu einem Haufen Schutt, vom Dolch eines Elfen an einer kritischen Runenstelle getroffen. Der zweite wurde von zwei Angreifern gleichzeitig zu Fall gebracht und zerbröselte. Auch Lilys Dornenhecke war nicht unüberwindbar. Die Elfen waren angehende Krieger, geschickt mit Klingen. Mit gezielten Hieben ihrer Messer schlugen sie eine Lücke in die Ranken.

Die Krieger waren nun im Vorteil. Der Schock war verflogen und purer Mordlust gewichen.

„Jetzt seid ihr fällig!“, schrie Kael und zog sein kurzes Übungsschwert.

Die anderen taten es ihm gleich. Sie machten nun wirklich ernst. Schwerter gegen zwei unbewaffnete, verletzte Blumenelfen.

Das Trio

In diesem Moment wurde die schwere Tür des Hörsaals aufgestoßen. Funny stand im Rahmen, ihr Gesicht blass vor Sorge. Sie hatte Lily überall gesucht und eine böse Vorahnung gehabt, als sie erfuhr, dass niemand sie seit dem Mittag gesehen hatte. Der Lärm aus dem Runensaal hatte ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.

Sie sah die gezogenen Schwerter, die blutende Lily und den verängstigten, aber entschlossen vor Lily stehenden Darin. Sie verschwendete keine Sekunde.

Ihre Magie war nicht laut oder explosiv, sie war präzise und brillant. Mit einer schnellen Geste ließ sie eine Kugel aus blendend hellem Licht direkt vor Kaels Gesicht explodieren. Er schrie auf und taumelte blind zurück. Einem anderen entzog sie mit einem leisen Wort die Haftung unter seinen Füßen. Er rutschte auf dem glatten Steinboden aus und krachte zu Boden. Einem dritten warf sie einen Stille-Zauber über, der ihn für einen Moment verwirrte und von seinen Kameraden isolierte.

Diese kurzen Momente der Verwirrung reichten.

„Jetzt, Lily!“, rief Funny.

Lily, beflügelt von der Ankunft ihrer Freundin, sammelte ihre Kraft und ließ ihre Dornenhecke erneut wuchern, diesmal stärker und dichter. Die Ranken umschlangen die desorientierten Elfen, fesselten ihre Arme und Beine und entrissen ihnen die Waffen.

Gemeinsam, Darin half dabei, die Knoten zu ziehen, fesselten sie die Rowdies mit den gleichen Seilen und Ketten, die für Lily bestimmt waren.

Ohne viele Worte schleppten die drei den gedemütigten und gefesselten Kael durch die Gänge der Akademie, direkt zum Büro des Direktors. Kaels Kumpane blieben gut gefesselt erst einmal im Runen-Saal.

Die Reaktion des Zwergen war furchterregend. Sein übliches Grimmen war einer eisigen, stillen Wut gewichen. Er hörte sich den Bericht der drei Blumenelfen an, inspizierte Lilys Verletzungen und die Fesseln.

Er ließ die anderen Vier herbringen. Sein Urteil war dann schnell und endgültig.

„Kidnapping. Folter. Androhung schwerster Körperverletzung und der Einsatz von Waffen innerhalb der Akademie“, zählte er mit grollender Stimme auf. „Ihr seid mit sofortiger Wirkung der Akademie verwiesen. Die Stadtwache wird euch abholen und den zivilen Strafbehörden übergeben.“

Ein neuer Anfang

Am nächsten Morgen versammelte der Direktor alle Studenten der Akademie in der großen Halle. Er schilderte die Ereignisse des Vortages ohne Beschönigung.

„Gewalt untereinander wird an dieser Akademie nicht geduldet“, donnerte seine Stimme von den Wänden wider. „Feigheit und Brutalität haben hier keinen Platz. Wer seine Stärke missbraucht, um Schwächere zu drangsalieren, ist kein zukünftiger Abenteurer, sondern ein Verbrecher.“

Dann rief er Funny, Darin und Lily nach vorne.

„Diese drei jedoch haben gezeigt, was es wirklich bedeutet, ein Team zu sein. Sie haben Mut, Einfallsreichtum und Loyalität bewiesen. Sie haben Verteidigungsmagie kreativ und entschlossen eingesetzt, um eine schreckliche Tat zu verhindern. Zur Belobigung ihres Mutes und als Zeichen für alle anderen werden Funny, Lily und Darin mit sofortiger Wirkung um einen Rang befördert. Sie sind nun, als Erstklässler, im F+ Rang.“

Ein überraschtes Raunen ging durch die Menge, gefolgt von einem Applaus, der immer lauter wurde. Es war äußerst selten, dass Erstklässler schon nach wenigen Wochen im Rang aufstiegen.

Der erste gemeinsame Kampf hatte die drei Blumenelfen zusammengeschweißt. Von diesem Tag an sah man sie fast nur noch im Trio. Funny und Darin hatten einen mäßigenden Einfluss auf Lily, die kaum noch Streit suchte und sich stattdessen mit Funnys Hilfe auf ihre schulischen Leistungen konzentrierte. Im Gegenzug passte Lily wie ein Schießhund auf Funny auf, die sich weiterhin für jeden einsetzte, dem Unrecht geschah. Und Darin fühlte sich für beide verantwortlich, insbesondere für Lily, deren Verletzlichkeit er nun kannte.

Das Trio wurde schnell beliebt. Funny und Darin waren zu zurückhaltend, um zu prahlen, und ihre stille Freundlichkeit war entwaffnend. Lily wurde so etwas wie die kesse, laute Stimme der Gruppe, die aber nun ihre Schlagfertigkeit mit mehr Bedacht einsetzte.

Eines Nachmittags, als sie zu dritt am See saßen und lernten, bemerkte Lily den Blick, den Darin Funny zuwarf, als diese lachend einem Schmetterling nachjagte. Es war ein Blick voller Zuneigung und stiller Anbetung. Funny, in ihrer eigenen Welt, bemerkte nichts. Darin errötete leicht, als er Lilys wissendes Grinsen sah, und blickte schnell wieder in sein Buch. Lily sagte nichts. Sie lächelte nur in sich hinein. Ihre Freundschaft war noch jung. Manche Geheimnisse mussten noch ein wenig reifen. Vorerst.

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