Spaß mit Anime und japanischer Kultur

Adiuva et Protege Adventskalender – 08.12.

Ein hektisches, rotes Blinken, begleitet von einem schrillen Alarmton, der durch das WG-Häuschen von Adiuva et Protege schnitt, riss die Stille der Nacht in Stücke.

Funny war sofort hellwach. Keine Sekunde später stand sie am Kommunikationsterminal im Flur – ihre Reflexe waren tadellos. Sie schlug auf den Knopf, das Blinken hörte auf, und das grimmige Gesicht von Bartly, dem Zwerg, erschien auf dem Schirm. Er hatte Nachtschicht bei den Wächtern.

„Funny“, bellte Bartly ohne Begrüßung. „Code Rot im Sumpfland. Panik.“

Funny runzelte die Stirn.

„Panik? Bei wem?“

„Bei den Irrlichtern“, knurrte der Zwerg. „Sie drehen völlig am Rad. Sie irrlichtern viel stärker und aggressiver als gewöhnlich. Wenn die Anwohner rund um die Sümpfe aufwachen und die Lichter sehen… sie werden in den Sumpf gelockt. Wir stehen kurz vor einer Massen-Katastrophe.“

Funny verstand sofort. Irrlichter waren normalerweise friedlich, solange ihre Umgebung intakt war. Aber panische Irrlichter waren wie Leuchtfeuer, die Wanderer in den sicheren Tod führten. Bartly selbst war einmal fast ertrunken, als er eine Gruppe beruhigen wollte.

„Wir brechen sofort auf“, sagte Funny mit ihrer Kommandostimme. „In einer Stunde sind wir beim Dorf der Irrlichter.“

Sie schaltete das Terminal ab. In ihrem Kopf ratterte bereits der Strategie-Plan. Als sie sich umdrehte, stand Darin schon in der Küchentür. Die Haare standen ihm wild zu Berge, die Brille saß schief, aber er hielt bereits zwei Kaffeetassen in der Hand.

„Kaffee?“ fragte er pragmatisch.

„Viel“, bestätigte Funny. „Wir brauchen Lily wach. Und zwar richtig wach.“

Doch ein Wunder geschah. Ein schlurfendes Geräusch war auf der Treppe zu hören. Lily wankte in die Küche. Ihre roten Haare sahen aus wie ein explodiertes Vogelnest.

„Wie schlimm ist es?“ krächzte sie mit rauer Schlafstimme.

Darin schob auch ihr kommentarlos eine dampfende Tasse hin. Lily inhalierte den Dampf, trank einen Schluck und öffnete ein Auge.

Funny erklärte die Lage kurz und präzise.

„Sumpfland. Panische Irrlichter. Gefahr für die Anwohner. Wir müssen die Ursache finden, bevor die alten Instinkte der Lichter überhandnehmen.“

Lilys nahm einen zweiten Schluck. Ihr zweites Auge öffnete sich.

„Wann können wir los?“

„Gebt mir noch fünf Minuten“, sagte Darin und stellte seine Tasse ab. „Ich packe die Itembox mit der Spezialausrüstung für Sumpfgebiete.“

Er verschwand in seiner Werkstatt. Sofort drang ein wildes Rumoren, das Scheppern von Metall und ein leise gemurmelter Fluch („Verdammte Quanten-Schraubzwinge!“) nach draußen.

Exakt vier Minuten später stand er wieder im Flur. Er wirkte unzufrieden.

„Ich muss dringend ein neues Ordnungssystem etablieren. Das Packen hat 240 Sekunden gedauert. Inakzeptabel.“

Funny lächelte milde.

„Du wirst besser, Darin. Letztes Mal waren es fünf Minuten.“

„Itembox ist gepackt“, ignorierte Darin das Lob. „Wir können los.“

Lily stand schon an der Tür.

„Los, los, los! Worauf wartet ihr? Dass der Sumpf austrocknet?“

Es war noch nicht einmal 02:00 Uhr morgens, als sich drei Blumenelfen mit kraftvollen Flügelschlägen in die kalte Nacht erhoben.


Eine Stunde später: Das Sumpfland

Schon aus der Luft sah es aus wie ein Disco-Besuch auf LSD. Überall im Nebel unter ihnen blitzten bunte Lichter auf, zischten wild hin und her, verschwanden und tauchten an völlig falschen Stellen wieder auf.

Sie landeten am Rande des festen Bodens. Der Boden schmatzte unter ihren Stiefeln (nein, warte, sie waren ja barfuß – der Schlamm quoll also direkt zwischen die Zehen). Lily wollte sofort losstürmen, die Naginata geschultert.

„Halt!“ Darin packte sie am Arm. „Nicht einfach reinlaufen. Lily, kennst du die Geschichte vom Faden der Ariadne?“

Lily sah ihn an, als hätte er gefragt, ob sie Quantenphysik studiert hätte.

„Neeee. Ich kann nicht nähen. Hallo? Siehst du mein Outfit? Ich trage nur Bikinis. Wenn einer kaputt ist, kauf ich mir einen neuen. Was soll ich mit Fäden?“

Funny kicherte in ihre Hand. Bevor Darin zu einer historischen Abhandlung ansetzen konnte, fiel ihm Funny ins Wort.

„Ariadne war eine Prinzessin, Lily. Ein sehr hübsches Mädchen. Fast so hübsch wie du.“ Lily lief leicht rot an. „Sie hat ihrem Geliebten geholfen, aus einem tödlichen Labyrinth zu finden. Sie gab ihm ein Wollknäuel, dessen Faden er am Eingang befestigte. Er musste beim Rückweg nur der Schnur folgen.“

Lily nickte anerkennend.

„Cleveres Mädchen. Aber was hat das mit diesem Matschloch zu tun?“

Darin zog eine Spule mit einem fast unsichtbaren, bläulich schimmernden Draht hervor.

„Wir befestigen diesen magischen Faden hier am Baum. Nur wir können ihn sehen. Egal wie sehr uns die Irrlichter verwirren – und das werden sie – wir finden immer den Weg zurück.“

„Coole Idee“, gab Lily zu.

Darin knotete den Faden an eine alte, knorrige Weide. Dann gingen sie los. Es war die Hölle. Der Sumpf lebte. Nebelschwaden verformten sich zu Wänden. Panische Irrlichter tanzten um ihre Köpfe und flüsterten und schrien wirres Zeug.

„Hier entlang…“, säuselte ein Licht.

„Hilfe… helft uns!“, schrie ein Anderes.

„Wir sind ja auf dem Weg!“ knurrte Lily und stapfte weiter.

Trotz des Fadens kamen sie nur langsam voran. Funny versank einmal fast bis zur Hüfte in einem Schlammloch und musste von Darin und Lily gemeinsam herausgezogen werden.

„Kein Wunder, dass die Irr-Lichter heißen“, grummelte Lily und wischte sich Schlamm von der Wange.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie das Dorf der Irrlichter – eine Ansammlung von hohlen Baumstümpfen, die normalerweise gemütlich leuchteten. Jetzt herrschte dort Hysterie. Dutzende der Lichtwesen umringten sie sofort, zerrten an ihnen und schrien durcheinander.

Der Älteste, ein großes, normalerweise würdevolles violettes Licht, schwebte zitternd heran.

„Hilfe! Wächter! Das Sumpfgas ist weg!“

Funny runzelte die Stirn.

„Weg?“

Ohne Sumpfgas keine Magie für die Irrlichter. Ohne Magie keine Existenz. Funny blickte zu Darin. Der hatte bereits seine Detektoren in den Analyse-Modus geschaltet und hielt ein weiteres Gerät hoch, das aussah wie ein Geigerzähler mit Antennen.

„Er hat recht“, sagte Darin. „Die Konzentration ist minimal. Aber… da drüben!“ Er zeigte nach Westen. „Ich messe massive magische Interferenzen. Und einen starken Sog.“

Nach einem kurzen Piepen wurde Darins Gesicht ernst. „Funny, Lily. Das wird hart. Ich weiß nicht, ob wir das alleine schaffen.“

Lily ließ ihre Naginata mit einem bösen Wusch kreisen. Ihre Augen verengten sich. „Wenn du sowas sagst, heißt das normalerweise, dass jemand Ärger braucht. Soll ich wem den Hintern versohlen?“

Funny, die auf Darins Display schaute, seufzte. „Ach herrje. Goblins. Am westlichen Rand.“

„Auf sie mit Gebrüll!“ rief Lily und machte einen Ausfallschritt.

„Stopp!“

Funny hob die Hand.

„Lass uns das…“

„…mit Diplomatie lösen“, beendete Lily den Satz und verdrehte die Augen. „Langweilig.“

Darin instruierte den Ältesten: „Sammelt alle Irrlichter in der östlichen Schlucht. Dort ist die Rest-Konzentration am höchsten. Wir kümmern uns um den Rest.“


Das Dorf der Goblins

Sie folgten Darins Faden ein Stück zurück und bogen dann nach Westen ab. Schon von weitem sahen sie einen rötlichen Schein, der den Nebel durchbrach.

„Feuer“, stellte Darin fest. „Großes Feuer. Meine Vermutung ist, die Goblins haben die unterirdischen Sumpfgas-Depots angezapft. Sie leiten alles zu sich und fackeln es im Dorfzentrum ab. Aber warum? Es muss dort bestialisch stinken!“

Funny ging voran, die Hände offen und leer, um ihre friedlichen Absichten zu zeigen. Sie betraten das Goblin-Dorf. Hütten aus Schilf und Lehm standen im Kreis um ein riesiges, fauchendes Feuer, das aus einem rohen Eisenrohr schoss.

Sofort waren sie von knurrenden Goblins mit speerartigen Stöcken umzingelt.

Funny blieb ruhig stehen.

„Wir kommen in Frieden. Wir wollen mit eurem Anführer sprechen.“

Ein alter, vernarbter Goblin trat hervor. Er trug einen Mantel aus Flicken.

„Wir haben nichts gemacht! Verschwindet, Elfen!“

Lily trat vor, die Hände in die Hüften gestemmt.

„Ihr fackelt das ganze Sumpfgas ab! Die Irrlichter verhungern da drüben!“

Der Goblin-Anführer, der hinzugekommen war, funkelte sie an.

„Es ist kalt! Sehr kalt hier! Der Winter ist hart. Wir brauchen Sumpfgas für Wärme. Sonst erfrieren unsere Kinder!“

Lily, die gerade noch bereit war, den ganzen Stamm aufzumischen, erstarrte beim Wort Kinder. Ihre aggressive Haltung fiel in sich zusammen. Kinder! Sie senkte den Kopf.

Darin trat vor, den Blick auf die gewaltige Flamme gerichtet.

„Wie bekommt ihr das Gas hierher?“

„Haben im Sommer Leitungen gelegt“, erklärte der Goblin stolz. „Große Pumpe gebaut. Leiten es in die Hütten zum Heizen. Aber Druck ist zu hoch. Überschuss müssen wir hier verbrennen. Sumpfgas stinkt furchtbar!“

Darin nickte. Sein Techniker-Hirn arbeitete bereits.

„Was haltet ihr davon, wenn ich euch einen Gas-Regulierer einbaue? Zeigt mir die Zapfstelle. Ich kann das so einstellen, dass eure Hütten warm bleiben, aber die Irrlichter trotzdem von ihrem“, er betonte das Wort scharf, „Anteil genug abbekommen.“

Funny lächelte charmant.

„Dann braucht ihr diese riesige Fackel nicht mehr, und es stinkt auch nicht mehr nach faulen Eiern.“

Der Goblin-Anführer zögerte kurz, dann nickte er. Er führte sie zu einer monströsen, völlig überdimensionierten Pumpe, die ratterte und qualmte.

„Oha“, sagte Darin. „Die saugt ja den halben Erdkern leer.“

Er öffnete seine Itembox. Was folgte, war eine Meisterleistung der Improvisation.

„Ein Druckbegrenzer hier… ein Rücklaufventil da… Lily, gib mir mal den Schraubenschlüssel… nein, den anderen… Danke.“

Zehn Minuten später verklang das aggressive Rattern der Pumpe zu einem sanften Schnurren. Die riesige Stichflamme im Dorfzentrum schrumpfte zu einem kleinen, kontrollierten Flämmchen zusammen.

Ein junger Goblin rannte herbei.

„Chef! Chef! Der Gestank ist weg! Aber in den Hütten ist es immer noch warm!“

Der Goblin-Anführer starrte Darin mit offenem Mund an.

„Flatterdingsis“, sagte er ehrfürchtig. „Ihr könnt mehr, als ich dachte.“

Lily murmelte leise: „Da seid ihr gerade so um eine Tracht Prügel herumgekommen. Glück gehabt.“


Der Rückweg

Nachdem sie sich verabschiedet hatten (die Goblins winkten sogar), gingen sie zurück zum Baum der Irrlichter. Darin rollte den Faden wieder auf. Und das war gut so. Die Irrlichter, überglücklich, dass das Gas zurückkehrte, veranstalteten nun ein Freudenfest und schossen so wild durch die Gegend, dass jeder Orientierungssinn versagt hätte.

Der Irrlicht-Älteste leuchtete hell auf, als sie sich verabschiedeten. „Danke, Adiuva et Protege!“

Im Osten begann die Sonne aufzugehen und tauchte den Sumpf in ein fast friedliches Licht. Es war bitterkalt geworden. Die drei Blumenelfen waren von oben bis unten mit Schlamm bedeckt. Darins Brille war fast undurchsichtig, Funnys hellblauer Bikini war eher braun-grau, und Lily sah aus wie ein Sumpfmonster.

Sie landeten vor ihrem Häuschen und sehnten sich nur noch nach einer heißen Dusche.

Funny strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und hinterließ einen Streifen Matsch auf der Stirn. „Wer ist heute eigentlich mit der Wäsche dran? Lily?“

Lily sah an sich herunter. Angeekelt riss sie sich ihr Bikini-Oberteil herunter und hielt es mit gerümpfter Nase weit von sich gestreckt. Sie sah zu Darin, dessen graues Shirt ebenfalls vor Dreck starrte.

„Ja, ja“, brummte sie. „Ich mach’s. Und ich verspreche: Ich färbe nichts neu ein. Rosa steht Darin zwar, aber Sumpf-Braun-Gesprenkelt ist definitiv nicht seine Farbe.“

Darin lachte müde.

„Danke, Lily. Danke.“

Mehr Lust auf Abenteuer von Funny, Lily und Darin?
Dann schaut ins Buch „Die Akademie der Krone“, des 1. Bandes der „Chroniken der Wächter“. Jetzt beim Carow Verlag bestellen!

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Adiuva et Protege Adventskalender – 08.12.

Ein hektisches, rotes Blinken, begleitet von einem schrillen Alarmton, der durch das WG-Häuschen von Adiuva et Protege schnitt, riss die Stille der Nacht in Stücke.

Funny war sofort hellwach. Keine Sekunde später stand sie am Kommunikationsterminal im Flur – ihre Reflexe waren tadellos. Sie schlug auf den Knopf, das Blinken hörte auf, und das grimmige Gesicht von Bartly, dem Zwerg, erschien auf dem Schirm. Er hatte Nachtschicht bei den Wächtern.

„Funny“, bellte Bartly ohne Begrüßung. „Code Rot im Sumpfland. Panik.“

Funny runzelte die Stirn.

„Panik? Bei wem?“

„Bei den Irrlichtern“, knurrte der Zwerg. „Sie drehen völlig am Rad. Sie irrlichtern viel stärker und aggressiver als gewöhnlich. Wenn die Anwohner rund um die Sümpfe aufwachen und die Lichter sehen… sie werden in den Sumpf gelockt. Wir stehen kurz vor einer Massen-Katastrophe.“

Funny verstand sofort. Irrlichter waren normalerweise friedlich, solange ihre Umgebung intakt war. Aber panische Irrlichter waren wie Leuchtfeuer, die Wanderer in den sicheren Tod führten. Bartly selbst war einmal fast ertrunken, als er eine Gruppe beruhigen wollte.

„Wir brechen sofort auf“, sagte Funny mit ihrer Kommandostimme. „In einer Stunde sind wir beim Dorf der Irrlichter.“

Sie schaltete das Terminal ab. In ihrem Kopf ratterte bereits der Strategie-Plan. Als sie sich umdrehte, stand Darin schon in der Küchentür. Die Haare standen ihm wild zu Berge, die Brille saß schief, aber er hielt bereits zwei Kaffeetassen in der Hand.

„Kaffee?“ fragte er pragmatisch.

„Viel“, bestätigte Funny. „Wir brauchen Lily wach. Und zwar richtig wach.“

Doch ein Wunder geschah. Ein schlurfendes Geräusch war auf der Treppe zu hören. Lily wankte in die Küche. Ihre roten Haare sahen aus wie ein explodiertes Vogelnest.

„Wie schlimm ist es?“ krächzte sie mit rauer Schlafstimme.

Darin schob auch ihr kommentarlos eine dampfende Tasse hin. Lily inhalierte den Dampf, trank einen Schluck und öffnete ein Auge.

Funny erklärte die Lage kurz und präzise.

„Sumpfland. Panische Irrlichter. Gefahr für die Anwohner. Wir müssen die Ursache finden, bevor die alten Instinkte der Lichter überhandnehmen.“

Lilys nahm einen zweiten Schluck. Ihr zweites Auge öffnete sich.

„Wann können wir los?“

„Gebt mir noch fünf Minuten“, sagte Darin und stellte seine Tasse ab. „Ich packe die Itembox mit der Spezialausrüstung für Sumpfgebiete.“

Er verschwand in seiner Werkstatt. Sofort drang ein wildes Rumoren, das Scheppern von Metall und ein leise gemurmelter Fluch („Verdammte Quanten-Schraubzwinge!“) nach draußen.

Exakt vier Minuten später stand er wieder im Flur. Er wirkte unzufrieden.

„Ich muss dringend ein neues Ordnungssystem etablieren. Das Packen hat 240 Sekunden gedauert. Inakzeptabel.“

Funny lächelte milde.

„Du wirst besser, Darin. Letztes Mal waren es fünf Minuten.“

„Itembox ist gepackt“, ignorierte Darin das Lob. „Wir können los.“

Lily stand schon an der Tür.

„Los, los, los! Worauf wartet ihr? Dass der Sumpf austrocknet?“

Es war noch nicht einmal 02:00 Uhr morgens, als sich drei Blumenelfen mit kraftvollen Flügelschlägen in die kalte Nacht erhoben.


Eine Stunde später: Das Sumpfland

Schon aus der Luft sah es aus wie ein Disco-Besuch auf LSD. Überall im Nebel unter ihnen blitzten bunte Lichter auf, zischten wild hin und her, verschwanden und tauchten an völlig falschen Stellen wieder auf.

Sie landeten am Rande des festen Bodens. Der Boden schmatzte unter ihren Stiefeln (nein, warte, sie waren ja barfuß – der Schlamm quoll also direkt zwischen die Zehen). Lily wollte sofort losstürmen, die Naginata geschultert.

„Halt!“ Darin packte sie am Arm. „Nicht einfach reinlaufen. Lily, kennst du die Geschichte vom Faden der Ariadne?“

Lily sah ihn an, als hätte er gefragt, ob sie Quantenphysik studiert hätte.

„Neeee. Ich kann nicht nähen. Hallo? Siehst du mein Outfit? Ich trage nur Bikinis. Wenn einer kaputt ist, kauf ich mir einen neuen. Was soll ich mit Fäden?“

Funny kicherte in ihre Hand. Bevor Darin zu einer historischen Abhandlung ansetzen konnte, fiel ihm Funny ins Wort.

„Ariadne war eine Prinzessin, Lily. Ein sehr hübsches Mädchen. Fast so hübsch wie du.“ Lily lief leicht rot an. „Sie hat ihrem Geliebten geholfen, aus einem tödlichen Labyrinth zu finden. Sie gab ihm ein Wollknäuel, dessen Faden er am Eingang befestigte. Er musste beim Rückweg nur der Schnur folgen.“

Lily nickte anerkennend.

„Cleveres Mädchen. Aber was hat das mit diesem Matschloch zu tun?“

Darin zog eine Spule mit einem fast unsichtbaren, bläulich schimmernden Draht hervor.

„Wir befestigen diesen magischen Faden hier am Baum. Nur wir können ihn sehen. Egal wie sehr uns die Irrlichter verwirren – und das werden sie – wir finden immer den Weg zurück.“

„Coole Idee“, gab Lily zu.

Darin knotete den Faden an eine alte, knorrige Weide. Dann gingen sie los. Es war die Hölle. Der Sumpf lebte. Nebelschwaden verformten sich zu Wänden. Panische Irrlichter tanzten um ihre Köpfe und flüsterten und schrien wirres Zeug.

„Hier entlang…“, säuselte ein Licht.

„Hilfe… helft uns!“, schrie ein Anderes.

„Wir sind ja auf dem Weg!“ knurrte Lily und stapfte weiter.

Trotz des Fadens kamen sie nur langsam voran. Funny versank einmal fast bis zur Hüfte in einem Schlammloch und musste von Darin und Lily gemeinsam herausgezogen werden.

„Kein Wunder, dass die Irr-Lichter heißen“, grummelte Lily und wischte sich Schlamm von der Wange.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie das Dorf der Irrlichter – eine Ansammlung von hohlen Baumstümpfen, die normalerweise gemütlich leuchteten. Jetzt herrschte dort Hysterie. Dutzende der Lichtwesen umringten sie sofort, zerrten an ihnen und schrien durcheinander.

Der Älteste, ein großes, normalerweise würdevolles violettes Licht, schwebte zitternd heran.

„Hilfe! Wächter! Das Sumpfgas ist weg!“

Funny runzelte die Stirn.

„Weg?“

Ohne Sumpfgas keine Magie für die Irrlichter. Ohne Magie keine Existenz. Funny blickte zu Darin. Der hatte bereits seine Detektoren in den Analyse-Modus geschaltet und hielt ein weiteres Gerät hoch, das aussah wie ein Geigerzähler mit Antennen.

„Er hat recht“, sagte Darin. „Die Konzentration ist minimal. Aber… da drüben!“ Er zeigte nach Westen. „Ich messe massive magische Interferenzen. Und einen starken Sog.“

Nach einem kurzen Piepen wurde Darins Gesicht ernst. „Funny, Lily. Das wird hart. Ich weiß nicht, ob wir das alleine schaffen.“

Lily ließ ihre Naginata mit einem bösen Wusch kreisen. Ihre Augen verengten sich. „Wenn du sowas sagst, heißt das normalerweise, dass jemand Ärger braucht. Soll ich wem den Hintern versohlen?“

Funny, die auf Darins Display schaute, seufzte. „Ach herrje. Goblins. Am westlichen Rand.“

„Auf sie mit Gebrüll!“ rief Lily und machte einen Ausfallschritt.

„Stopp!“

Funny hob die Hand.

„Lass uns das…“

„…mit Diplomatie lösen“, beendete Lily den Satz und verdrehte die Augen. „Langweilig.“

Darin instruierte den Ältesten: „Sammelt alle Irrlichter in der östlichen Schlucht. Dort ist die Rest-Konzentration am höchsten. Wir kümmern uns um den Rest.“


Das Dorf der Goblins

Sie folgten Darins Faden ein Stück zurück und bogen dann nach Westen ab. Schon von weitem sahen sie einen rötlichen Schein, der den Nebel durchbrach.

„Feuer“, stellte Darin fest. „Großes Feuer. Meine Vermutung ist, die Goblins haben die unterirdischen Sumpfgas-Depots angezapft. Sie leiten alles zu sich und fackeln es im Dorfzentrum ab. Aber warum? Es muss dort bestialisch stinken!“

Funny ging voran, die Hände offen und leer, um ihre friedlichen Absichten zu zeigen. Sie betraten das Goblin-Dorf. Hütten aus Schilf und Lehm standen im Kreis um ein riesiges, fauchendes Feuer, das aus einem rohen Eisenrohr schoss.

Sofort waren sie von knurrenden Goblins mit speerartigen Stöcken umzingelt.

Funny blieb ruhig stehen.

„Wir kommen in Frieden. Wir wollen mit eurem Anführer sprechen.“

Ein alter, vernarbter Goblin trat hervor. Er trug einen Mantel aus Flicken.

„Wir haben nichts gemacht! Verschwindet, Elfen!“

Lily trat vor, die Hände in die Hüften gestemmt.

„Ihr fackelt das ganze Sumpfgas ab! Die Irrlichter verhungern da drüben!“

Der Goblin-Anführer, der hinzugekommen war, funkelte sie an.

„Es ist kalt! Sehr kalt hier! Der Winter ist hart. Wir brauchen Sumpfgas für Wärme. Sonst erfrieren unsere Kinder!“

Lily, die gerade noch bereit war, den ganzen Stamm aufzumischen, erstarrte beim Wort Kinder. Ihre aggressive Haltung fiel in sich zusammen. Kinder! Sie senkte den Kopf.

Darin trat vor, den Blick auf die gewaltige Flamme gerichtet.

„Wie bekommt ihr das Gas hierher?“

„Haben im Sommer Leitungen gelegt“, erklärte der Goblin stolz. „Große Pumpe gebaut. Leiten es in die Hütten zum Heizen. Aber Druck ist zu hoch. Überschuss müssen wir hier verbrennen. Sumpfgas stinkt furchtbar!“

Darin nickte. Sein Techniker-Hirn arbeitete bereits.

„Was haltet ihr davon, wenn ich euch einen Gas-Regulierer einbaue? Zeigt mir die Zapfstelle. Ich kann das so einstellen, dass eure Hütten warm bleiben, aber die Irrlichter trotzdem von ihrem“, er betonte das Wort scharf, „Anteil genug abbekommen.“

Funny lächelte charmant.

„Dann braucht ihr diese riesige Fackel nicht mehr, und es stinkt auch nicht mehr nach faulen Eiern.“

Der Goblin-Anführer zögerte kurz, dann nickte er. Er führte sie zu einer monströsen, völlig überdimensionierten Pumpe, die ratterte und qualmte.

„Oha“, sagte Darin. „Die saugt ja den halben Erdkern leer.“

Er öffnete seine Itembox. Was folgte, war eine Meisterleistung der Improvisation.

„Ein Druckbegrenzer hier… ein Rücklaufventil da… Lily, gib mir mal den Schraubenschlüssel… nein, den anderen… Danke.“

Zehn Minuten später verklang das aggressive Rattern der Pumpe zu einem sanften Schnurren. Die riesige Stichflamme im Dorfzentrum schrumpfte zu einem kleinen, kontrollierten Flämmchen zusammen.

Ein junger Goblin rannte herbei.

„Chef! Chef! Der Gestank ist weg! Aber in den Hütten ist es immer noch warm!“

Der Goblin-Anführer starrte Darin mit offenem Mund an.

„Flatterdingsis“, sagte er ehrfürchtig. „Ihr könnt mehr, als ich dachte.“

Lily murmelte leise: „Da seid ihr gerade so um eine Tracht Prügel herumgekommen. Glück gehabt.“


Der Rückweg

Nachdem sie sich verabschiedet hatten (die Goblins winkten sogar), gingen sie zurück zum Baum der Irrlichter. Darin rollte den Faden wieder auf. Und das war gut so. Die Irrlichter, überglücklich, dass das Gas zurückkehrte, veranstalteten nun ein Freudenfest und schossen so wild durch die Gegend, dass jeder Orientierungssinn versagt hätte.

Der Irrlicht-Älteste leuchtete hell auf, als sie sich verabschiedeten. „Danke, Adiuva et Protege!“

Im Osten begann die Sonne aufzugehen und tauchte den Sumpf in ein fast friedliches Licht. Es war bitterkalt geworden. Die drei Blumenelfen waren von oben bis unten mit Schlamm bedeckt. Darins Brille war fast undurchsichtig, Funnys hellblauer Bikini war eher braun-grau, und Lily sah aus wie ein Sumpfmonster.

Sie landeten vor ihrem Häuschen und sehnten sich nur noch nach einer heißen Dusche.

Funny strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und hinterließ einen Streifen Matsch auf der Stirn. „Wer ist heute eigentlich mit der Wäsche dran? Lily?“

Lily sah an sich herunter. Angeekelt riss sie sich ihr Bikini-Oberteil herunter und hielt es mit gerümpfter Nase weit von sich gestreckt. Sie sah zu Darin, dessen graues Shirt ebenfalls vor Dreck starrte.

„Ja, ja“, brummte sie. „Ich mach’s. Und ich verspreche: Ich färbe nichts neu ein. Rosa steht Darin zwar, aber Sumpf-Braun-Gesprenkelt ist definitiv nicht seine Farbe.“

Darin lachte müde.

„Danke, Lily. Danke.“

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