Der Morgen graute über dem WG-Häuschen von Adiuva et Protege, und Funny war bereits wach. Oder besser gesagt: Sie war im „Mission: Krankenpflege“-Modus.
Kaum hatte sie die Augen aufgeschlagen, schwebte sie auch schon den Flur entlang in Richtung „Drachenhöhle“. Sie musste unbedingt nach der Patientin sehen, die gestern einen so dramatischen Kampf gegen das Blumenelfen-Sumpffieber (oder war es doch die heimtückische Drachengrippe? Die Symptome – Fauchen und Feuerspucken – waren ähnlich) ausgefochten hatte.
Vor Lilys Zimmertür blieb Funny erst einmal stehen und atmete tief durch. In Lilys Zimmer reinzuplatzen, war gefährlich. Insbesondere am Morgen. Es gab Gerüchte, dass dort schon ungebetene Gäste spurlos verschwunden waren.
Vorsichtig, Millimeter für Millimeter, drückte Funny die Klinke herunter und öffnete die Tür einen Spaltbreit.
WUSCH.

Ein großes, flauschiges Daunenkissen segelte mit präziser Flugbahn genau auf den Türspalt zu. Funny zog den Kopf blitzschnell zurück und schloss die Tür wieder, gerade als das weiche Geschoss mit einem Puff von innen dagegen prallte.
Funny lächelte zufrieden. Reflexe funktionieren. Kraft ist da. Diagnose: Lebensfähig.
„Lily, du bleibst heute noch zu Hause!“ rief sie fröhlich durch das Holz. „Darin und ich gehen alleine los. Schon dich noch!“
Aus dem Inneren des Zimmers drang ein tiefes, unartikuliertes Grummeln, gefolgt von einem dumpfen Schlag – Kissen Nummer zwei prallte gegen die Tür.
Funny kicherte und ging die Treppe hinunter. Aus der Küche schlurfte ihr Darin entgegen, die Haare noch wilder verwuschelt als sonst, aber mit zwei Tassen Kaffee in der Hand.
„Und?“ fragte er und gähnte herzhaft und drückte ihr die zweite Tasse in die Hand. „Lebt sie noch? Oder hat sie dich gefressen?“
„Der Drache ist gesund und freut sich offensichtlich sehr, ausschlafen zu dürfen“, berichtete Funny strahlend. „Nur zwei Kissen! Das ist quasi eine Liebeserklärung.“
Darin grinste schief.
„Gut. Ich habe ihr Frühstück auf einem kleinen Tablett vorbereitet. Das kann sie dann essen, wenn sie… nun ja… ansprechbar ist.“
„Also SEHR viel später“, ergänzte Funny trocken.
Nach einem schnellen, gemeinsamen Frühstück schnappten sich die beiden ihre Ausrüstung. Heute stand eine Patrouille in den Wolfshöhen an, dieser zerklüfteten Hügelwelt am Rande des Elfentals. Es war Funnys Heimat, und sie freute sich auf die klare Winterluft.
„Tschüss Haus, tschüss Lily!“ rief Funny, und die Tür fiel ins Schloss.
Stille kehrte ein. Friedliche, heilige Stille.
Zwei Stunden später.
BDOOOONG.
Der Türgong, ein Geschenk von Darins Vater Florent (der ihn irgendwo in der Menschenwelt aufgegabelt hatte), dröhnte durch das Haus, ließ die Dielen vibrieren und hallte bis unter das Dach.
In der Drachenhöhle regte sich ein Berg aus Decken. Lily knurrte. Sie drehte sich auf die andere Seite. Sie zog sich das Kissen (Nummer 3) fest über den Kopf.
BDOOOONG. BDOOOONG.
„Gnah!“
Lily schälte sich aus dem Bett. Sie schlurfte zur Tür. Sie schlurfte die Treppe hinunter, jeden Schritt mit einem leisen Fluch begleitend. Durch die Küche. Durch das Esszimmer. Durch die kalte Veranda.
Sie riss die Haustür auf, die Haare standen in alle Himmelsrichtungen ab.
„JAAAAAAA?!“

Vor der Tür standen zwei ältere Frauen in Nonnen-Habit, die Hände fromm gefaltet.
„Guten Tag, Schwester“, säuselte die eine. „Haben Sie einen Moment für unseren Erlöser? Jesus Christus ist Dein…“
BAMM.
Lily knallte die Tür zu, dass der Staub von den Rahmen rieselte. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um. Der Weg zurück war lang. Durch die Veranda. Durch das Esszimmer. Durch die Küche. Die Treppe hoch (ächz). In den Flur. Ins Zimmer. Und hinein in die warme, weiche, himmlische Betthöhle.
Die Augen fielen zu. Der Atem wurde ruhig. Ein Traum von Drachen und Schokolade begann…
BDOOOONG.
Lily riss die Augen auf. Eine Ader an ihrer Schläfe begann gefährlich zu pochen. „DAS KANN DOCH JETZT NICHT WAHR SEIN!“
Wieder hievte sie sich aus dem Bett. Sie stampfte los. Flur. Treppe. Küche. Esszimmer. Veranda.
Sie riss die Tür so heftig auf, dass der Windstoß fast die Fußmatte wegriss.
„WAS IST??????“
Es war mehr ein Fauchen als eine Frage.
Vor der Tür stand ein kleiner Mann mit einem viel zu großen Koffer und einem schmierigen Lächeln.
„Herzlichen Glückwunsch, junge Dame! Sie sind die auserwählte Testperson für den Dusty 2000! Er saugt nicht nur Staub, er macht auch…“
RUMMS.
Die Tür knallte mit solcher Wucht zu, dass die Scheiben in der Veranda klirrten und das ganze Häuschen kurz wackelte wie bei einem Erdbeben der Stärke 3.
Lily atmete schwer. Sie drehte sich um. Kriechen. Sie kroch quasi zurück. Veranda. Esszimmer. Küche. Treppe. Zimmer. Mit einem dumpfen Plumps ließ sie sich ins Bett fallen. „Bitte“, wimmerte sie leise in ihr Kissen. „Einfach nur schlafen.“
Stille. Absolute Stille. Eine Minute. Zwei Minuten. Lily entspannte sich. Sie kuschelte sich tief ein. Die Welt war wieder gut.
BDOOOONG. BDOOOONG. BDOOOONG.
Lily saß senkrecht im Bett. Ihre Augen glühten grau. Das war kein Aufstehen mehr. Das war eine magische Eruption. Wie von der Tarantel gestochen sprang sie auf, flog förmlich durch den Flur, nahm die Treppe in zwei Sätzen, rutschte durch die Küche und das Esszimmer und riss die Haustür auf, noch bevor der Gong verhallt war.
Sie sah gerade noch zwei kleine Gestalten – ein Elfenkind und ein Menschenkind – die kichernd hinter die Hecke des Nachbarn rannten. „KLINGELSTREICH!“ krähten die beiden fröhlich.
In Lily brodelte es. Es reichte. ES REICHTE ENDGÜLTIG.
Sie trat einen Schritt vor die Tür, hob beide Hände und ihre Augen leuchteten gefährlich auf.
„Na wartet“, zischte sie.
Mit einer ruckartigen Handbewegung entfesselte sie ihre Magie. Die Erde um das Haus begann zu beben. Krrrk. Wusch!
Innerhalb von Sekunden schossen dicke, grüne Ranken aus dem Boden. Aber nicht irgendwelche Ranken. Es waren armdicke, dornenbewehrte Monster, die sich in rasender Geschwindigkeit um das gesamte Grundstück wanden. Sie verflochten sich zu einer drei Meter hohen, undurchdringlichen Dornenhecke.
Und sie war aktiv. Als ein verirrter Vogel sich nähern wollte, schnappte ein Zweig mit einem hörbaren Schnapp in seine Richtung.
Lily stemmte die Hände in die Hüften und nickte zufrieden.
„So. Da kommt nicht mal mehr eine Mücke durch, ohne schriftlichen Antrag.“
Sie ging wieder ins Haus und schloss die Tür – dieses Mal sanft.
Aber jetzt war sie munter. Das Adrenalin pumpte durch ihre Adern. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ihr Magen knurrte laut und fordernd.
Sie schlurfte in die Küche und da sah sie es: Auf dem Tisch stand ein Tablett, abgedeckt mit einer Wärmehaube. Darunter verbarg sich eine große Kanne Lilys Spezial, ein dicker Stapel mit Pancakes mit Ahornsirup und ein süßes Himbeerbrötchen.
Daneben lag eine kleine metallische Karte. Lily nahm sie in die Hand und klappte sie auf.
Szzzt.
Zwei winzige, bläulich schimmernde Hologramme erschienen über der Karte. Ein Mini-Darin, der winkte, und eine Mini-Funny, die Küsschen verteilte.
„Guten Morgen, Schlafmütze!“ piepsten die beiden Stimmchen im Chor. „Lass es dir schmecken und lass dich nicht ärgern!“
Das wütende Grollen in Lilys Bauch verwandelte sich in ein warmes Gefühl. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, während sie herzhaft vom Himbeerbrötchen abbiss.

„Ihr seid echt die Besten“, mampfte sie glücklich und blickte aus dem Fenster auf ihre mörderische, alles fressende Dornenhecke. „Und sicher ist es hier jetzt auch.“

































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