Fortsetzung von „Plantschen im Elfental„
Es gibt Geburtstage, und es gibt Rawennas Geburtstage. Bei Elfen, die hunderte von Jahren alt werden können, ist ein weiteres Jahr oft nicht mehr als eine Randnotiz im großen Buch des Lebens. Aber nicht bei Rawenna. Sie war der festen Überzeugung, dass Freundschaft wie ein gutes Kaminfeuer ist: Man muss ab und zu gewaltig nachlegen, damit es nicht ausgeht. Ihre Lösung dafür waren ihre mittlerweile legendären Partys in JWD, die sie „nur alle 25 Jahre“ veranstaltete.
Als Funny, Lily und Darin in JWD ankamen, war der Hof nicht wiederzuerkennen. An riesigen Feuerstellen wurde gegrillt und gebraten. Die gesamte Küche war nach draußen verlegt worden, denn im Inneren war kein Platz mehr. Der Duft vermischte sich mit dem von Met und würzigem Bier, das aus Fässern floss, die so groß waren wie kleine Boote. Es waren Bänke und Tische von enormer Länge aufgestellt worden, die bereits von den ersten ankommenden Gästen gut besetzt waren.

Vor dem Haupttor stand ein großes Schild, das von Darin vor Jahren entworfen worden war und das sich je nach Bedarf selbst aktualisierte. Heute stand darauf in leuchtenden Runen:
„WAFFENGESCHENKE NACH LINKS, ESS- UND TRINKBARES NACH RECHTS, ALLES ANDERE IN DIE MITTE“
Am Anfang passte noch alles auf die bereitgestellten Tische, doch die Geschenkehaufen wuchsen und wuchsen und bildeten bald drei Gebirge aus Stahl, Kisten und seltsam verpackten Objekten.
Die Party war also bereits in vollem Gange. Der Met floss in Strömen, das Gegrillte wanderte ohne viel Federlesens in die Mägen der hungrigen Gäste. Eine extra angereiste Band namens „Engelsteufel“, bekannt für ihre einzigartige Mischung aus zwergischem Hardrock und elfischem Folk-Metal, spielte auf einer Bühne, was das Zeug hielt.
Funny, Lily und Darin bahnten sich einen Weg durch die Menge. Sie sahen Zwerge, die mit Tiermenschen um die Wette tranken, einen alten Magier, der einer Gruppe junger Abenteurer mit Hilfe leuchtender Illusionen seine Heldentaten vorführte, und sogar einen Geist, der friedlich über einem Metfass schwebte und versuchte, einen Schluck zu erhaschen.
Sie fanden Rawenna in der Mitte des Chaos, strahlend wie immer und in einem neuen, kampftauglichen, silbernen Bikini, den ihr Fennja geschenkt hatte. Sie umarmte ihre alten Freunde Kaelan und Fennja, die neben ihr standen und das Treiben mit der amüsierten Gelassenheit von Veteranen beobachteten.

„Da seid ihr ja endlich!“, rief Rawenna und zog die drei in eine herzliche Gruppenumarmung. „Kommt, esst, trinkt! Feiert mit uns!“
Die Stunden vergingen wie im Flug. Die Musik wurde lauter, das Lachen dröhnender, die Geschichten immer unglaublicher. Gerade als der Sänger der Engelsteufel zu einem besonders hohen, elfischen Schrei ansetzte, wurde der gesamte Lärm von einem einzigen, alles durchdringenden Ton zerschnitten.
Ein schriller, unnatürlicher Alarm, so ohrenbetäubend, dass es jeder, aber auch wirklich jeder, selbst über den Partylärm hinweg hören konnte. Darins Alarmanlage.
Die Musik erstarb. Die Gespräche verstummten. Alle Köpfe drehten sich zum Haupthaus.
Rawenna stellte seelenruhig ihren Bierkrug ab. Ein breites, fast schon raubtierhaftes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
„Na endlich“, sagte sie trocken. „Ich hab schon gedacht, heute passiert gar nichts mehr!“
Sie sprang auf einen Tisch, ihre Stimme übertönte das immer noch nachklingende Alarmsignal mühelos.
„AN ALLE MEINE FREUNDE, ALT UND NEU! ES SCHEINT, WIR HABEN UNGEBETENE GÄSTE, DIE AUCH EIN STÜCK VOM BRATEN WOLLEN!“
Sie zog zwei glänzende Kurzschwerter.
„ZU DEN WAFFEN! FÜR FEENLAND!“
Ein ohrenbetäubender Jubel brach aus.
„HURRAAAAAA!“, brüllten Dutzende von Abenteurern wie aus einer Kehle, zogen ihre Waffen und stürmten, die meisten von ihnen mehr schlecht als recht geradeaus laufend, in Richtung der Tore.
Darin schüttelte nur den Kopf und rieb sich die Schläfen. Anhand der Frequenz und Intensität des Alarms war ihm klar, dass es sich nicht um ein paar verirrte Wölfe handelte. Die Sensoren meldeten massive Erschütterungen. Trolle. Eine ganze Horde. Für die meisten Abenteurer selbst im nüchternen Zustand eine Nummer zu groß. Für diese betrunkene Meute war es ein Selbstmordkommando. Aber er kannte seine Mutter, er wusste, dass sie dafür sorgen würde, dass ihnen kein Abenteurer in die Quere kommen würde
Er winkte Funny und Lily zu sich.
„Ich habe einen Plan.“
Auch Kaelan und Fennja kamen sofort herbei. Der alte Wächter und die Gildemeisterin waren, wie Darin vermutet hatte, vollkommen nüchtern. Auch sie wussten, dass JWD-Partys den Hang zum Eskalieren hatten. Mit Kaelan kam eine ganze Einheit seiner besten Wächter, die sich diskret im Hintergrund gehalten hatten. Alle scharten sich um Darin, den stillen Jungen, der in Momenten der Krise zum geborenen Strategen wurde.
„Was meldet die Anlage, Darin?“, fragte Kaelan knapp.
„Trolle. Mindestens fünfzig, wahrscheinlich mehr. Sie kommen direkt aus dem Nordpass“, antwortete Darin und deutete in die Dunkelheit. „Die… die Party-Armee da vorne wird einfach überrannt werden.“
„Was schlägst du vor?“, fragte Fennja, ihre Hand ruhte bereits auf dem Griff ihres Langschwerts.
Darin atmete tief durch.
„Trolle sind dumm. Sie vertrauen nur auf ihre immense Kraft und ihre Masse. Sie sind wie eine Lawine aus Fleisch und Knochen. Sie laufen einfach nur vorwärts und rennen alles über den Haufen. Und genau das nutzen wir aus.“
Er blickte in die Runde.
„Wir lenken ihren Vorstoß mit künstlichen Hindernissen. Dort hinten ist die Wolfsschlucht. Der Zugang ist schmal. Lily“, sagte er und sah sie direkt an, „du bist der Schlüssel. Du musst bis zum Eingang zu den Klippen oberhalb der Schlucht viele dichte Dornenhecken aufbauen, die den Durchlass immer schmaler werden lassen, wie einen Trichter.“
Lily nickte, ihre Augen blitzten.
„Eine Hecke, die sie in eine Schlucht treibt? Kein Problem. Gib mir fünf Minuten.“
„Genau“, fuhr Darin fort. „Die Trolle werden von hinten immer stärker schieben. Sie haben keine andere Wahl, als dem Weg zu folgen. Sie MÜSSEN in die Schlucht stürzen. Voila. Fertig. Kaelan, ich brauche ein paar Ihrer schnellsten Wächter als Köder, um sie am Anfang in die richtige Richtung zu locken. Mit dem kläglichen Rest, der vielleicht nicht in die Schlucht fällt, werden wir dann schon fertig. Den dürfen dann ruhig die ganzen betrunkenen Abenteurer hier erledigen.“
Kaelan lächelte. Es war kein fröhliches Lächeln, sondern das eines alten Wolfes, der einen brillanten Plan erkannte.
„Ein toller Plan, Junge. Machen wir’s genau so.“
Die Ausführung war ein Meisterwerk der Koordination. Während Rawenna die enthusiastische, aber unkoordinierte Armee der Abenteurer geschickt lenkte („Halt, ihr Helden! Folgt mir für einen grandiosen Hinterhalt!“), machten sich die anderen an die eigentliche Arbeit.
Lily rannte zur Wolfsschlucht, ihre Hände glühten bereits mit grüner Energie. Der Boden riss auf, und dicke, undurchdringliche Dornenhecken schossen mit unnatürlicher Geschwindigkeit in die Höhe und formten den Anfang des tödlichen Trichters.
Ein paar Wächter, so schnell und leise wie Geister, spielten den Köder. Sie tauchten vor der Trollarmee auf, verschossen ein paar provozierende Pfeile und verschwanden wieder in der Dunkelheit, woraufhin die Trolle ein dumpfes, wütendes Gebrüll ausstießen und schwerfällig die Richtung änderten und den verwegenen Wächtern folgten.
Der Plan ging auf. Die Trolle strömten regelrecht in den Trichter. Lily ließ den Weg immer schmaler werden, die Dornen wuchsen und wanden sich, sodass es für die riesigen Bestien kein Ausweichen gab. Der Druck von hinten wurde dadurch immer größer. Die vorderen Trolle wurden von ihren eigenen Kameraden nach vorne geschoben, ob sie wollten oder nicht. Ihr Gebrüll, verstärkt durch die engen Felswände, musste meilenweit zu hören sein.
Die Wächter verschwanden dann unauffällig über die Felswände. Der reißende Strom der Trolle stürzte unaufhaltsam voran, den nahen Klippen entgegen, wo es Dutzende von Metern steil nach unten ging.
Und dann kippte der erste über die Klippen. Mit einem überraschten Grunzen stürzte er in die Tiefe.

Dann der Zweite, der Dritte, eine ganze Reihe. Sie fielen wie eine makabre Perlenkette in die Schlucht. Da am Boden der Klippen ein reißender Fluss tobte, wurde der Unrat auch schnell fortgewaschen.
Als der letzte Troll in die Tiefe gestürzt war, kehrte eine unheimliche Stille ein.
Kaelan, Fennja und auch die Wächter, die auf den Klippen standen und das Schauspiel beobachtet hatten, kamen zu Darin. Kaelan wuschelte ihm anerkennend durch das silberne Haar. Fennja tat es ihm gleich. Lily grinste breit, beugte sich vor und gab ihm einen lauten Kuss auf die Stirn.
Und Funny? Funny fiel Darin einfach nur stolz um den Hals, ihre Arme fest um ihn geschlungen. „DU bist der Beste!“, flüsterte sie ihm ins Ohr, ihr Atem war warm an seiner Haut.
Darin stand wie erstarrt da, sein Herz hämmerte, und für einen Moment vergaß er die Trolle, die Party und alles andere. Die Welt war nur noch diese Umarmung und dieses Flüstern.

Und die Party? Die ging danach einfach weiter. Noch lauter, noch fröhlicher. Die Abenteurer, die die wenigen übriggebliebenen Trolle der Nachhut unter Rawennas Anleitung heldenhaft besiegt hatten, übertrafen sich gegenseitig beim Erzählen ihrer Heldentaten.
„…und dann hab ich dem Troll mit bloßen Händen das Bein ausgerissen!“
„…ich habe drei auf einmal mit einem einzigen Schwertstreich erledigt!“
Und Rawenna? Sie stand wieder an ihrem Platz, einen frischen Metkrug in der Hand. Sie blickte auf das laute, fröhliche, chaotische Treiben ihrer Freunde, auf ihren brillanten Sohn und seine wunderbaren Gefährtinnen, und sie lächelte.
Es war ein perfekter Geburtstag.
Wird fortgesetzt …
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