Echos im Korridor
Funny verließ das Audimax mit einer Ruhe, die im krassen Gegensatz zur panischen Flucht der meisten anderen Studenten stand. Der donnernde Monolog des zwergischen Direktors hallte in ihren Ohren nach, doch es war nicht die Furcht, die ihre Gedanken beschäftigte, sondern die Neugier. Sie hatte seinen Blick gespürt, intensiv und prüfend. Und sie hatte sehr wohl mitbekommen, dass dieser Blick nicht nur ihr gegolten hatte. Neben ihr hatte er zwei weitere Studenten für einen längeren Moment fixiert. Beides, wie sie aus den Augenwinkeln hatte erkennen können, ebenfalls Blumenelfen. Ein rothaariges Mädchen, dessen Haltung puren Trotz schrie, und ein schüchterner Junge mit silbernem Haar, der hinter seiner Brille eine unerwartete Festigkeit zeigte.

„Warum gerade wir drei?“, dachte sie, während sie durch die hohen, steinernen Gänge der Akademie schritt, die von den Fackeln in ein warmes, aber schattenreiches Licht getaucht wurden. „Wer waren die beiden anderen? Und was hat er in uns gesehen?“ Sie zuckte mit den Schultern. Es war müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Die Antwort würde sich mit der Zeit zeigen, oder eben nicht. Ihre Mutter hatte sie gelehrt, ihre Energie auf die Dinge zu konzentrieren, die sie beeinflussen konnte.
Plötzlich wurde die relative Stille des Ganges von einem lauten Scheppern zerrissen, gefolgt von einem unterdrückten Fluch. Dann schallte eine empörte, weibliche Stimme durch den Korridor, so laut und klar, dass sie von den alten Mauern widerhallte.
„Bist du blind oder hast Du keine Augen im Kopf?“
Funny blieb stehen. Die Stimme war voller Wut. Die Antwort des Mannes, die darauf folgte, war ein einziges, ohrenbetäubendes Brüllen, ein Geräusch, das eher von einem gigantischen Golem als von einem Lebewesen zu stammen schien. Die Worte waren im Echo kaum zu verstehen, aber die reine, unbändige Wut dahinter war unmissverständlich. Funny glaubte, etwas wie das Folgende herauszuhören:
„REKRUT LILY! ZEIGEN SIE MIR, WIE GUT SIE SEHEN KÖNNEN, UND FEGEN SIE UNSERE ARENA! UND WENN ICH AUCH NUR EIN EINZIGES STAUBKORN FINDE, DAS DORT NICHT HINGEHÖRT, DANN WISCHEN SIE DIE GÄNGE DIESER AKADEMIE MIT IHREM ZAHNFLEISCH FEUCHT AUF!“
Eine kurze, geladene Pause entstand. Funny spähte neugierig um die nächste Ecke. Sie sah die rothaarige Blumenelfe aus dem Audimax, die einem Mann gegenüberstand, der so breit war wie ein Schrank und dessen Gesicht die Farbe einer Gewitterwolke hatte.
„Wer sind Sie denn überhaupt?!“, schrie das Mädchen, das offensichtlich Lily hieß, zurück. Ihre Stimme war nur unwesentlich leiser als die des Mannes, und sie zitterte vor Rage.
Ein anderer Student, der sich an die Wand presste, um nicht aufzufallen, zischte ihr leise zu: „Sei still! Das ist Ausbilder Grom!“
Doch es war zu spät. Grom sog tief Luft, seine Brust hob sich wie bei einem Blasebalg.
„ICH WERDE AB MORGEN IHR GRÖSSTER ALBTRAUM SEIN, WENN SIE JETZT NICHT SOFORT DIE GROSSE ARENA FEGEN!“
Stille. Funny konnte förmlich spüren, wie die Luft im Gang knisterte.

„JETZT!“, brüllte Grom so gewaltig, dass Funny unwillkürlich zusammenzuckte und das Gefühl hatte, die Steine um sie herum würden erzittern.
Die wenigen umstehenden Studenten stoben in Panik davon. Lily drehte sich mit einem Ruck um. Sie warf dem Ausbilder einen Blick zu, der Dolche hätte verschießen können, und ging dann mit einer provozierenden, übertriebenen Langsamkeit in Richtung des Hofes, wo sich die Arena befand.
„IM LAUFSCHRITT!“, kam es wie ein Donnergrollen hinter ihr her.
In diesem Moment kam Funny an der Szene vorbei. Sie sah, wie Lily bei diesem letzten Befehl die Zähne zusammenbiss und widerwillig zu rennen begann. Sie sah, wie Ausbilder Grom ihr nachblickte und sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, das so voller kalter Genugtuung war, dass bei seinem Anblick die Hölle gefrieren würde.
Als Funny an ihm vorbeiging, setzte sie eine undurchdringliche, neutrale Maske auf. Sie verlangsamte ihren Schritt nicht, schaute ihn direkt an und nickte ihm höflich, aber bestimmt zum Gruß zu.
Grom war für einen Moment perplex. DAS kam nun wirklich nicht alle Tage vor. Die meisten Rekruten machten einen weiten Bogen um ihn oder starrten eingeschüchtert zu Boden. Dass es ein zierliches Elfenmädchen wagte, ihn nach einem seiner Wutausbrüche direkt anzusehen und zu grüßen, brachte ihn aus dem Konzept. Er deutete den Hauch einer Andeutung eines Nickens an und bog dann abrupt in Richtung der Ausbilder- und Dozenten-Quartiere ab.
Funny ging weiter, aber ihre Neugier war geweckt. Wer war bloß diese Lily? Eine Blumenelfe mit einem solchen Temperament war eine Seltenheit.
Auf ihrem Zimmer angekommen – einem einfachen, kargen Raum mit einem Bett, einem Schrank und einem kleinen Schreibtisch –, griff sie als Erstes zum Stundenplan. Ihre Finger strichen über die aufgelisteten Fächer. Klar, der Schwerpunkt im ersten Jahr lag auf körperlicher Ertüchtigung.
Nahkampf-Training, Verteidigung ohne Waffen, Ausdauerlauf…, las sie. Sie seufzte leise. Funny war sich im Klaren darüber, dass dies sehr anstrengend werden würde. Als Wesen des Lichts waren Blumenelfen nicht für schwere körperliche Arbeit gebaut. Ihre Stärke lag in der Magie, in der Anmut, in der Verbindung zur Natur. Das meiste wurde geflogen, und ihre Flügel waren magisch. Solange man regelmäßig flog, war das kaum eine körperliche Anstrengung. Aber das hier… das war etwas anderes.

Sie beschloss, nach einem kurzen Abstecher in die Mensa früh schlafen zu gehen. Der nächste Morgen versprach, brutal zu werden. Den Ausbilder, Grom, hatte sie ja nun schon „kennenlernen“ dürfen, und ihr schwante Fürchterliches.
Aber jetzt erst einmal Abendbrot. Sie schloss sich dem Strom der anderen Studenten an, die offensichtlich dasselbe Ziel hatten. In der riesigen, lauten Mensa holte sie sich ein einfaches Mahl: etwas Brot, einen Apfel und ein Glas Wasser. Da sie niemanden kannte und nicht in der Stimmung für oberflächlichen Smalltalk war, blieb sie allein an ihrem Tisch und aß schnell und ungestört, während sie die anderen beobachtete.
Feuer und Asche
Der nächste Tag begann genau so, wie Funny es befürchtet hatte. Die kalte Morgenluft peitschte ihr ins Gesicht, als sie die riesige Trainingsarena betrat. Auch die anderen Studenten schauten sich unwohl um. Die Arena war tatsächlich peinlich sauber gefegt. Nicht ein Staubkorn war zu sehen. Funny musste unwillkürlich an Lily denken und hoffte, dass sie wenigstens etwas Schlaf bekommen hatte.
Dann begann das Training. Und es begann mit Laufen. Unzählige Runden.
Funny merkte schnell, wie ungewohnt diese Art der Belastung für sie war. Das Laufen auf hartem Boden erschütterte ihre Gelenke, und ihre Lunge begann nach kurzer Zeit zu brennen. Aber sie war nicht hierhergekommen, um aufzugeben. Sie dachte an die Worte ihrer Mutter, an Kaelans Empfehlung. Sie wollte beweisen, dass eine Blumenelfe mehr sein konnte als nur eine hübsche Tänzerin in der Sonne.
Sie konzentrierte sich, versuchte, tief und gleichmäßig zu atmen. Sie erinnerte sich an die Jagdtechniken der Tiermenschen in ihrem Tal und verlagerte ihr Körpergewicht bei jedem Schritt leicht von einer Seite auf die andere, um Kraft und Energie zu sparen. Da es Grom offensichtlich nicht auf Geschwindigkeit, sondern auf reine Ausdauer ankam, versuchte sie, ein gleichmäßiges Tempo aufrechtzuerhalten und im Mittelfeld mitzuschwimmen. Zu ihrer Erleichterung gab es einige Studenten – vor allem ein paar schwer gebaute Zwerge und ein menschlicher Gelehrter, der aussah, als hätte er noch nie einen Tag außerhalb einer Bibliothek verbracht –, die körperlich noch weniger fit waren als sie.
Groms hämische Stimme peitschte über den Platz: „SCHNELLER, IHR LARVEN! MEINE GROSSMUTTER KRIECHT SCHNELLER ALS IHR LAUFT! AUF DEN BODEN! ZWANZIG LIEGESTÜTZE!“
Wie alle anderen ließ sich Funny auf den Boden fallen. Liegestütze. Zum Glück bin ich klein und zierlich, dachte sie, ich muss nicht so viel Gewicht stemmen.
Doch nach zwanzig Wiederholungen wollten auch ihre Arme nicht mehr gehorchen. Sie zitterten unkontrolliert, und sie musste sich mit letzter Kraft wieder auf die Beine stemmen. In ihrer Konzentration bekam sie nur am Rande mit, wie Lily, die schon vor dem Lauf sichtlich erschöpft ausgesehen hatte, und Grom erneut verbal zusammenstießen. Das Ergebnis war, dass Lily ab sofort alle Übungen mit schweren Gewichten aus Eisen an Armen und Beinen absolvieren musste.
Als auch Funnys letzte Kraftreserven aufgebraucht waren und sie das Gefühl hatte, jeden Moment zusammenzubrechen, brach Grom das Training gegen Mittag ab. Er musterte die keuchende, schwitzende und vollkommen erschöpfte Gruppe mit Verachtung.
„SCHWÄCHLINGE!“, brüllte er. „AKTUELL WÄRET IHR DEM KLEINSTEN OGER HILFLOS AUSGELIEFERT! DA MÖCHTE ICH WENIGSTENS, DASS IHR SCHNELL WEGRENNEN KÖNNT!!! VERSCHWINDET!“
Wie Funny es zurück in ihr Zimmer schaffte, wusste sie kurz darauf selbst nicht mehr. Sie erinnerte sich nur daran, wie sich die harte, dünne Matratze ihrer Liege plötzlich luxuriös und himmlisch weich anfühlte, bevor sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel. Sie verpasste dabei das Abendessen und schlief bis zum Morgen durch.
Der nächste Tag brachte eine willkommene Pause vom anstrengenden Sport. Es stand Staatsrecht auf dem Programm. Der Dozent war ein etwas zu groß geratener, alter Gnom mit einer Nickelbrille und einer trockenen, aber präzisen Art zu sprechen.
Sie lernten die Grundlagen von Feenland mit seiner vielfältigen und vielartigen Bevölkerung wie Elfen, Zwerge, Blumenelfen, Feen, Menschen, Tiermenschen und vielen anderen, die Struktur der Regierung unter der Kronprinzessin und die Rolle der Gilde bei der Auftragsvergabe. Vor allem aber lernten sie von der Bedeutung der Akademie. Sie wurde vor Generationen von der ersten Kronprinzessin gegründet, einer visionären Herrscherin, die erkannt hatte, dass die Sicherheit des Landes nicht allein von einer regulären Armee abhängen durfte. Regelmäßig versuchten Oger, Kriegsbestien, Wildlinge und anderes Ungetier, in die fruchtbaren Gebiete Feenlands einzudringen. Die Abenteurer waren die dezentrale, flexible erste Verteidigungslinie. Sie sorgten dafür, dass Feenland sicher blieb. Größere Probleme und unheimliche, magische Phänomene blieben den Wächtern vorbehalten, einer Elite-Einheit von Abenteurern im direkten Dienst der Krone.
„Nur wer Rang A oder höher erreicht hat, kann zum Wächter berufen werden“, erklärte der Gnom. „Die Wächter sind das Schwert und der Schild des Reiches. Sie sind bei den Einwohnern von Feenland auch deshalb so beliebt, weil noch nie in der Geschichte ein Wächter den Kodex verletzt hat: der Schutz der Bevölkerung und die Sicherheit Feenlands stehen über allem. Wer den hohen moralischen Ansprüchen der Wächter nicht gewachsen ist, hat keine Chance. Alleinkämpfer haben keine Chance. Alle für einen und einer für Alle!“
Funny lächelte, sie kannte das Buch aus dem der Gnom zitierte. Irgendwer hatte das Buch von einer Reise aus der Menschenwelt mitgebracht und der großen für alle zugänglichen Bibliothek ihrer Eltern hinzugefügt. Sie hatte es als Kind dann gefunden und regelrecht verschlungen.
Obwohl der Unterricht sehr theorielastig war, folgte Funny den Ausführungen ihres Dozenten mit größter Aufmerksamkeit. Im Gegensatz zu Lily, die zwei Reihen vor ihr saß und, wohl noch völlig erschöpft vom Vortag, leise schnarchend hinter ihrem aufgestellten Lehrbuch eingeschlafen war. Aber für Funny war das hier der Grund, warum sie gekommen war. Das war es, wofür sie kämpfen wollte.
Funny fasste einen Entschluss. Sie durfte nicht nachlassen. Sie musste stärker werden. Am nächsten Morgen, lange bevor die anderen aufstanden, schlich sie aus ihrem Zimmer und begann in der dämmrigen Stille der Arena ein leichtes Lauftraining.
Sie merkte schnell, dass sie nicht die Einzige war, die diesen Entschluss gefasst hatte. Der schüchterne, silberhaarige Blumenelf aus dem Audimax war schon da und legte Runde um Runde zurück, seine Bewegungen waren unbeholfen, aber von einer zähen Entschlossenheit geprägt. Funny schaute ihm einen Moment zu. Als er sie bemerkte, wurde er sofort rot und wäre beinahe über seine eigenen Füße gestolpert. Funny kicherte leise, was ihn nur noch nervöser machte. Sie lief selbst los. Laufen. Stretchen. Laufen.
Doch die nächste Nacht wurde der Horror.
Gerade als sie tief und fest schlief, riss sie eine schrille, heulende Sirene aus dem Schlaf, dicht gefolgt von Groms furchtbar lauter Stimme, die durch magische Verstärker über den gesamten Campus schallte und umso furchtbarer war, je müder man war.
„ERSTKLÄSSLER RAUSTRETEN! NACHTÜBUNG! WER NICHT IN DREI MINUTEN MARSCHBEREIT IN DER ARENA STEHT, WIRD DEN TAG VERFLUCHEN, AN DEM ER ODER SIE GEBOREN WURDE!“
Es dauerte tatsächlich weniger als drei Minuten, bis alle verschlafenen, verwirrten und schlecht gelaunten Studenten des ersten Jahres in der Arena versammelt waren. Sie wurden in mehrere kleine Gruppen aufgeteilt.
Grom gab ihnen noch mit auf den Weg: „Wer zum Frühstück nicht wieder pünktlich, frisch und munter in der Mensa sitzt, braucht gar nicht mehr zu kommen.“
Draußen wurden die Gruppen von Studenten aus dem dritten Jahr in Empfang genommen, die aussahen, als wären sie nur mäßig amüsiert über die nächtliche Störung.
Dann zogen die Gruppen in verschiedene Richtungen ab.
„Wohin gehen wir?“, fragte ein Student den Drittklässler, der ihre Gruppe anführte.
Der ältere Student grinste spöttisch. „In den Spukwald. Da werden wir viel Spass haben.“
Der „Spukwald“ war in Wahrheit ein harmloses, aber dichtes Waldstück, das die Akademie für solche Übungen nutzte. Doch für die übermüdeten Erstklässler war jeder Schatten eine Bedrohung.
Ihre Gruppe bestand aus Funny, dem nervösen Erik, einem stoischen Zwergenmädchen namens Brida und zwei weiteren Menschen. Ihr Anführer, ein gelangweilter Drittklässler, hiess Valerius.
„Regel Nummer eins“, sagte Valerius, als sie den Wald betraten. „Bleibt zusammen. Regel Nummer zwei: Verliert mich nicht aus den Augen. Regel Nummer drei: Nicht sterben.“
Nach zwei Stunden schnellen Marsches durch die Dunkelheit, in der nur das Knacken von Ästen und das Rascheln von Blättern zu hören war, blieb Valerius abrupt stehen.
„Okay, hier ist eure Prüfung. Brida hat ein Medaillon. Ich will es haben. Ihr habt zehn Minuten Zeit, es vor mir zu verstecken oder mich daran zu hindern, es zu mir einfach zu nehmen. Wenn ich es kriege, lauft ihr die doppelte Strecke zurück. Wenn nicht, spendiere ich euch morgen ein extra großes Frühstück auf Drittklässler-Niveau. Eure Zeit läuft… jetzt.“
Panik brach aus. „Wer hat noch mal das Medaillon?“, fragte Erik mit zitternder Stimme.
„Ich“, sagte Brida, die Zwergin, und zog eine Metallscheibe aus ihrer Tasche. „Was machen wir?“
„Wir müssen kämpfen!“, sagte Erik. „Wir umzingeln ihn!“
„Dummkopf“, knurrte Brida. „Er ist ein Drittklässler. Er macht uns fertig, bevor wir überhaupt einen Finger krumm gemacht haben.“
Funny dachte nach. Kampf war sinnlos. Verstecken war schwierig. Aber…
„Gib mir das Medaillon“, sagte sie leise zu Brida.
„Was hast du vor?“, fragte die Zwergin misstrauisch.
„Vertrau mir“, erwiderte Funny. Sie nahm das Medaillon und trat vor. „Valerius! Wir sind bereit.“
Valerius grinste überrascht. Das die Erstis so schnell bereit waren, erstaunte ihn.
„Na dann mal los. Muss ich suchen oder sagt ihr mir, wo es ist?“
„Hier“, sagte Funny und hielt es hoch. Dann, bevor er reagieren konnte, ließ sie es fallen und rief einen einfachen Wachstumszauber. Aus dem Boden schossen blitzschnell Dutzende von Ranken und Schlingpflanzen, die sich um das Medaillon wickelten und es in einem dichten, undurchdringlichen Ball aus lebendigem Grün einschlossen.

Valerius’ Grinsen erstarb. Er versuchte, die Ranken zu zerreißen, aber sie waren zäh und magisch verstärkt. Er zog einen Dolch, aber er konnte nicht durch das dichte Geflecht dringen, ohne das Medaillon zu beschädigen.
„Clever, Erstklässlerin“, knirschte er nach einigen Minuten vergeblicher Mühe. „Sehr clever. Du hast nicht gekämpft, du hast das Ziel unerreichbar gemacht.“
Er sah auf die Sanduhr an seinem Gürtel.
„Die Zeit ist um. Ihr habt gewonnen.“
Auf dem Rückweg war die Stimmung gelöst.
„Das war brillant, Funny!“, sagte Erik bewundernd.
Brida nickte zustimmend.
„Nicht schlecht für eine Elfe.“
Valerius seufzte.
„Na schön. Das Frühstück geht auf mich. Aber sagt Grom bloß nicht, wie ihr gewonnen habt. Er hasst es, wenn Leute denken, anstatt nur zu schlagen.“
Als sie die Akademie erreichten, sah Funny Darins und Lilys Gruppen ebenfalls ankommen. Alle sahen erschöpft aus, aber auch sie schienen ihre Mini-Prüfungen geschafft zu haben.
Valerius erinnerte sie noch einmal: „Noch vier Stunden bis zum Frühstück“, sagte er. „Denkt an Groms Worte! Seid frisch und munter. Für ihn war das nur ein Aufwärmen.“
Funny, Darin und Lily und alle anderen Erstklässler fielen wie tot in ihre Betten. Selbst Lily war ohne zu klagen mitgelaufen. Sie wusste genau, was ihr blühte, wenn sie die Akademie nicht erfolgreich abschließen würde: das dunkle, enge Felsengefängnis. Ein Schicksal, das für eine freiheitsliebende Blumenelfe schlimmer war als der Tod.
Trotz des nächtlichen Gewaltmarsches war Funny noch vor dem Frühstück wieder auf den Beinen und drehte ihre Runden in der Arena. Sie musste weitermachen. Sie musste besser werden.
Kurz darauf stieß auch Darin zu ihr, sein Gesicht war blass vor Erschöpfung, aber seine Augen blickten entschlossen.
Funny verlangsamte ihr Tempo.
„Guten Morgen“, sagte sie mit einem leichten Lächeln. „Die Nachtübung gut überstanden?“
Darin lief knallrot an.
„G-guten… M-morgen. Ja… danke. Die Schreckenssümpfe waren… feucht.“
Er lief ein paar Schritte neben ihr, sichtlich darum bemüht, eine Konversation zu führen.
„Euer Ausflug in den Spukwald… war er… spukig?“
Funny lachte.
„Nicht wirklich. Wir hatten eher eine… interessante Teamübung.“
Sie liefen eine Weile schweigend nebeneinander her. Es war eine angenehme Stille.

Als es Frühstückszeit war, standen alle Studenten pünktlich in der Mensa. Grom ging die Reihen mit seinem hämischen Grinsen im Gesicht ab und zählte durch. Niemand fehlte. Ein leises, anerkennendes Grunzen war sein einziges Lob, bevor er sie zum Essen entließ.
Irgendwann war die erste Woche dann endlich überstanden. Kaum jemand glaubte, die nächsten drei Jahre überstehen zu können.
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