Spaß mit japanischen Zeichentrickfilmen

Der Seelensauger von Blumental

Fortsetzung von „Das Flüstern der Berge

Ankunft am Rande der Finsternis

Sie erreichten „Janz weit draußen“ mit den letzten, blutroten Strahlen der untergehenden Sonne. Ihre Flügel schmerzten, ihre Körper fühlten sich an wie Blei, und ihre Gedanken waren ein einziges Durcheinander aus Staub, Steinen und dem Echo von monströsem Gebrüll. Der Gewaltflug nach dem Kampf gegen das Dämonenpaar hatte sie bis an die Grenzen ihrer magischen und körperlichen Reserven gebracht.

Als sie erschöpft vor dem großen Holztor landeten, stand Rawenna bereits da und lehnte lässig am Türrahmen, ein Tablett mit drei Tassen dampfenden Tees in der Hand, als hätte sie sie schon seit Stunden erwartet.

„Darins Alarmanlage hat mir gemeldet, dass sich drei sehr müde Elfen nähern“, sagte sie mit einem warmen Lächeln, das die Sorgen der letzten Tage sofort ein wenig leichter machte. „Schön, dass ihr da seid! Ich hab schon befürchtet, ihr schafft es heute nicht mehr und müsstet unter freiem Himmel schlafen.“

Darin, der sonst so schüchtern war, ging direkt auf seine Mutter zu und umarmte sie fest.

„Wir haben es eilig gehabt.“

Er löste sich und trat einen Schritt zurück, um auf seine Freundinnen zu deuten.

„Mutter, das sind Funny und Lily. Die besten Gefährten, die ich je hatte.“

Er wandte sich Funny zu.

„Das ist Funny.“

Als sich ihre Blicke trafen, huschte bei beiden gleichzeitig eine leichte Röte über die Wangen. Es war nur ein flüchtiger Moment, aber er war für jeden sichtbar. Rawenna lächelte wissend, und Lily konnte sich ein breites, schelmisches Grinsen nicht verkneifen.

Rawenna überspielte den Moment meisterhaft, indem sie Lily direkt ansprach.

„Dann musst du die berüchtigte Lily sein“, sagte sie, ihre grauen Augen blitzten belustigt. „Darin hat mir in seinen Briefen erzählt, wie du Grom und Barloc an der Akademie Paroli bietest. Große Klasse. Es wurde Zeit, dass mal jemand diesen alten Knochen zeigt, wo der Hammer hängt.“

Lilys Grinsen wurde noch breiter. „Freut mich, wenn meine Bemühungen geschätzt werden.“

„Jetzt aber ab mit euch ins Bad“, kommandierte Rawenna sanft. „Ihr seht aus, als hättet ihr mit einem Berg gekämpft.“

Sie deutete auf die Mädchen.

„Die Mädels zuerst. Der Onsen wartet.“

„Ich schaue erst einmal nach unseren Sicherheitseinrichtungen“, sagte Darin, seine Miene wurde ernst. „Kaelan war merkwürdig, als ich ihm erzählte, dass wir zu dir wollen. Er war erleichtert, dass du nicht mehr allein hier die Stellung halten musst. Was ist los, Mutter?“

Rawennas Lächeln verblasste ein wenig.

„Das ist keine Geschichte, die man zwischen Tür und Angel erzählt. Mädels“, sagte sie und schob Funny und Lily sanft in Richtung des Hauses.

„Der Onsen ruft. Darin, die Sicherheitssensoren rufen nach dir!“

Rawenna führte die Mädchen ins Haus und zeigte ihnen ihre Gästezimmer. Funny bat darum, mit Lily ein gemeinsames Zimmer beziehen zu dürfen, was Lily mit einem überraschten, aber erfreuten Blick quittierte. Rawenna nickte nur.

„Selbstverständlich.“

Dann scheuchte sie die beiden hinter das Haus, wo ein malerischer, von Felsen umgebener Onsen im Abendlicht dampfte.

Währenddessen schritt Darin die Sicherheitseinrichtungen ab. Er justierte hier einen Sensor, verstärkte dort eine magische Barriere und markierte auf einem kleinen Notizblock die Komponenten, die ausgetauscht werden mussten.

Eine Stunde später, die Mädchen hatten das Bad längst verlassen und saßen am lustig flackernden Kaminfeuer, gönnte sich auch Darin ein entspannendes Bad. Doch schon zwanzig Minuten später erschien Rawennas Kopf über dem Rand des Onsen.

„Bewegung, mein Sohn. Das Abendessen steht auf dem Tisch.“

Das Essen war rustikal, aber köstlich. Ein deftiger Eintopf, frisches Brot und Käse aus der Region. Während des Essens, so wie Darin seine Mutter kannte, wurde nur leichter Smalltalk gehalten. Sie plauderten über die Akademie, über lustige Anekdoten aus dem Unterricht und über die Eigenheiten der Dozenten.

Doch nachdem die Teller abgeräumt waren und sie sich in eine gemütliche Sitzecke am prasselnden Kaminfeuer zurückgezogen hatten, blickte Darin seine Mutter auffordernd an.

„Also“, sagte er und kam direkt auf den Punkt. „Warum ist Kaelan so besorgt? Es kann nicht nur um ein paar Streifzüge aus der Ödnis gehen. Die wehrst du doch locker mit Links und im Halbschlaf ab.“

Rawenna seufzte. Ihr Gesicht wurde im Feuerschein ernst.

„Ja, du hast recht. Ein paar Monsterhorden halten wir hier problemlos ab, insbesondere seit du die Sicherheitsmaßnahmen so verbessert hast.“

Sie machte eine Pause.

„Das Problem ist Blumental. Dort grassiert eine sehr merkwürdige Krankheit.“

„Merkwürdig?“, hakte Funny nach, ihre sonst so fröhlichen Augen waren nun von Besorgnis getrübt.

Rawenna nickte bedächtig.

„Ja, merkwürdig ist das richtige Wort. Die Einwohner sind an einem Tag noch quietschfidel, und von heute auf morgen fangen sie an, in sich gekehrt zu sein. Sie werden immer ruhiger, bekommen tiefe, dunkle Augenringe, klagen über furchtbare Albträume und eines Morgens… wachen sie einfach nicht mehr auf.“

Lily, die sich bis dahin gelangweilt die Nägel betrachtet hatte, blickte auf.

„Sie wachen nicht mehr auf? Einfach so?“

„Einfach so“, bestätigte Rawenna. „Und das Merkwürdigste ist: Manchmal werden die Toten erst Tage später gefunden, weil man sich wundert, warum man den oder diejenige nicht mehr zu Gesicht bekommt. Doch der Leichnam sieht aus, als ob die Person nur schlafen würde. Es setzt keine Verwesung ein. Keine Leichenstarre. Nichts. Der Bürgermeister bewahrt daher alle Opfer, so nenne ich sie, in einem Lagerhaus unter strenger Bewachung auf.“

„Die Wächter?“, fragte Darin.

„Ratlos“, antwortete Rawenna. „Sie haben eine ansteckende Krankheit ausgeschlossen. Die Opfer weisen keinerlei Anzeichen für eine Krankheit oder Verletzung auf. Sie sind einfach nur wie tot. Wie gerade gestorben. Die ersten Einwohner wollten schon in Panik wegziehen, aber die Wächter haben es unterbunden. Solange sie nicht wissen, was los ist, haben sie über ganz Blumental eine Quarantäne verhängt. Die besten Heiler der Krone haben versucht, etwas herauszufinden. Nichts. Und das, meine Lieben, ist mehr als nur merkwürdig.“

Funny, Lily und Darin schauten sich an, das gleiche ungute Gefühl in ihren Mägen.

„Deshalb war Kaelan so besorgt“, schlussfolgerte Funny. „Da niemand aus Blumental herauskann, kommen auch keine Abenteurer mehr zu dir. Du bist hier draußen isoliert.“

„Ja“, sagte Rawenna. „Versorgungstechnisch ist das kein Problem. Wir sind hier auf wochenlange Belagerungen eingestellt. Aber wenn ein geballter Angriff von Wildlingen erfolgt, gibt es keine Möglichkeit, schnell Hilfe zu holen.“

Sie blickte ins Feuer.

„Allerdings gibt die Ödnis zurzeit Ruhe. Seit die Krankheit grassiert, kommt von dort fast nichts mehr herüber.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob mich das beruhigt oder eher noch mehr in Sorge versetzt“, murmelte Darin nachdenklich. „Es könnte bedeuten, dass sogar die Monster dieses Gebiet meiden.“

Lily gähnte laut und ungeniert.

„Können wir für heute Schluss machen? So spannend das alles ist, mir fallen die Augen zu.“

Funny und Darin stimmten zu. Sie verabschiedeten sich von Rawenna.

„Wann wollt ihr morgen frühstücken?“, fragte Rawenna und warf Lily einen verschmitzten Blick zu. „Und ich meine Frühstücken, nicht zu Mittag essen!“

„Mama, fast vergessen!“, rief Darin und holte den versiegelten Brief aus der Itembox. „Hier. Von Fennja.“

„Oh!“, machte Rawenna. „Danke, mein Schatz.“

„Woher kennst du eigentlich Fennja so gut?“, fragte Funny.

Rawennas Blick wurde weich, als sie das Siegel brach.

„Fennja, Kaelan und ich… wir bildeten einmal eine gemeinsame Abenteurergruppe. Wir waren ‚Pro Iustitia‘. Wie unser Name schon sagt, haben wir versucht, Gerechtigkeit durchzusetzen, besonders in den gesetzlosen Außenlanden.“

Sie lächelte bei der Erinnerung.

„Und irgendwann führte uns dieser Weg hierher, nach JWD, in die Gilde und zu den Wächtern. Wir stehen weiterhin in engem Kontakt.“

Sie las den Brief, ihre Augenbrauen zogen sich zusammen.

„Oh. Das ist… interessant.“ Sie blickte auf. „Hier ist ein Auftrag für euch. Verbunden mit einem offiziellen Passierschein der Gilde, um die Quarantäne zu durchbrechen.“

„Wir sollen die rätselhafte Krankheit in Blumental untersuchen“, sagte Funny sofort.

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

Rawenna lächelte.

„Ja. Offiziell darf Fennja euch nicht damit betrauen, da es ein A-Auftrag ist und ihr nur Rang E habt. Aber sie fragt, ob ihr nicht bereit wärt, bei Vienna – ja, bei deiner Frau Mama, Funny – in der großen Bibliothek zu recherchieren. Da ihr sowieso zu ihr wolltet.“

Sie faltete den Brief.

„Ihr wühlt euch durch die Bücher, vielleicht findet ihr etwas, das alle anderen übersehen haben, und dann kommt ihr zu mir zurück.“

„Moment mal“, warf Lily ein. „Fliegt ohne mich, durch staubige Papierberge wühlen, ist nichts für mich. Ich halte mit Rawenna hier die Stellung.“

„Das ist eine gute Idee“, überlegte Funny laut. „Es ist besser, wenn jemand bei Rawenna bleibt. Kaelan hat sich wirklich Sorgen um diesen Ort hier gemacht.“

Rawenna tätschelte Lilys Kopf, was diese mit einem überraschten Quietschnquittierte.

„Ich glaube, wir beide werden uns gut verstehen, mein Kind.“

„Zwei Hitzköpfe am selben Ort?“, neckte Darin seine Mutter. „Ja, Mama, du bist bei Lily in guten Händen.“

Lily streckte Darin die Zunge heraus.

„Was heißt hier Hitzkopf? Wer von uns hat denn zwei waschechte Golems auf die Akademie-Rowdies losgelassen, weil sie ein Erstklässler-Mädchen geärgert haben?“

Rawenna riss die Augen auf.

„Ja, Darin, wer macht denn so was? Ich freue mich schon, wenn ihr wieder da seid und ihr mir alles haarklein erzählt!“

Sie scheuchte alle drei in ihre Betten.

„Ihr müsst früh los, wenn ihr am Nachmittag ankommen wollt. Frühstück gibt es um 9:00 Uhr“

Am nächsten Morgen, sogar Lily hatte es rechtzeitig zum Frühstück geschafft, brachen Funny und Darin auf.

„Na, mein Herr Papa wird überrascht sein, dass wir jetzt schon bei ihm aufschlagen“, sagte Funny zu Darin. „Komm, lass uns losfliegen.“

Sie schwangen sich in die Luft.

Lily rief ihnen noch hinterher: „Bleibt ja anständig!“

Rawenna zog Lily mit einem verschwörerischen Kichern zurück in die Stube.

„Anständig? Ist mir da etwas entgangen? Lily, mein Kind, erzähl mir mehr. Erzähl mir alles. Jedes Detail.“

Die Bibliothek der Geheimnisse und der Albus

Der Flug zum Tal der Blumenelfen war schnell und von einer aufgeregten Anspannung geprägt. Sie landeten am frühen Nachmittag im Innenhof des Schlosses. Funnys Eltern, Vienna und der Fürst, sprangen auf, als sie die beiden sahen. Was folgte, war eine herzliche, aber kurze Begrüßung, denn Funny schilderte sofort den Grund ihres unerwarteten Besuchs.

„Die Bibliothek steht euch offen“, sagte der Fürst mit ernster Miene. „Larkin, unser Oberbibliothekar, wird euch helfen. Aber jetzt hüpft erst einmal in unseren Onsen. Ihr habt einen Gewaltflug hinter euch. Ein heißes Bad wird eure Lebensgeister wecken.“

Funny und Darin schauten sich an. Bei beiden huschte ein leichter Rosafarbton über die Wangen. Funny hatte Darin unterwegs bereits aufgeklärt, dass ihre Eltern einen sehr ungezwungenen Umgang beim Baden pflegten und was das bedeutete. Für Funny war gemischtes baden normal. Also machten sie gemeinsam einen kurzen Abstecher zum privaten Onsen der Familie.

Dreißig Minuten später betraten sie die riesige, nach altem Papier und Zedernholz duftende Bibliothek. Larkin, ein weiser, alter Elf, hörte sich Funnys Bericht aufmerksam an.

„Albträume, Lethargie, kein Verfall nach dem Tod…“, murmelte er. „Das klingt nach etwas, das ich vor langer, langer Zeit gelesen habe.“

Er teilte die Suche auf. Stunden vergingen. Nur unterbrochen vom Abendessen, zu dem Funny die Bibliothekare mitschleifte. Sie wusste, wie sehr ihre Eltern geselliges Beisammensein liebten.

„Schaut doch mal in der Monsterabteilung nach“, sagte der Fürst nachdenklich beim Essen. „Ich will es nicht beschwören, aber bei ‚Albträumen‘ klingelt bei mir irgendetwas.“

Sein Rat war Gold wert. Am nächsten Morgen, kurz nach dem Frühstück, erklang ein heller Jubelruf von Funny. Alle versammelten sich um sie. Sie hatte ein sehr altes, staubiges Buch aufgeschlagen.

„Schaut mal“, sagte sie und deutete auf eine Zeichnung einer furchterregenden, schattenhaften Gestalt. „Ein Albus. Hier passt alles. Ein albtraumhaftes Wesen, das nachts Alleinreisende anfällt und ihnen langsam die Lebensenergie aussaugt. Die Opfer klagen über Albträume, werden ruhig und in sich gekehrt und irgendwann stehen sie einfach nicht mehr auf. Der Albus lässt dann von seinem Opfer ab und springt zum nächsten. Die Opfer sind nicht wirklich tot, sie sind nur leere Hüllen ohne Lebensenergie.“

„Wir haben also zwei Dinge zu tun“, sagte Darin sofort. „Wir müssen den Albus aufhalten und den Opfern ihre Lebensenergie zurückgeben.“

„Dazu bedarf es Energie-Kristalle“, las Funny vor. „Aber die sollen selten sein.“

„Als Speicher kann fast jeder Kristall verwendet werden“, sagte Darin gedankenverloren, während er in dem Buch blätterte. „Aber wie halten wir einen Albus still, dass wir ihm die Energie entziehen können? Und wie entziehen wir ihm die Energie?“

Vienna, die an den Tisch gekommen war, meinte: „Es gibt einen alten Unkrautbekämpfungszauber… er entzieht die Lebensenergie, aber es dauert sehr lange.“

„Ist das dieser Regenbogenzauber?“, fragte Darin und las eine Passage vor: „…einen Albus bekämpft man, indem der Regenbogenzauber angewandt wird. Er entzieht dem Albus die gesammelte Energie, und zwar immer schneller, je länger der Zauber auf ihn einwirkt. Die entzogene Energie kann in einem Kristall gespeichert werden oder sie fließt in denjenigen, der den Zauber spricht.“

„Dann müssen wir nur noch zwei Probleme lösen“, sagte Funny entschlossen. „Wie finden wir den Albus und wie halten wir ihn fest?“

Darin blätterte weiter. Sein Gesicht wurde blass. „Das ist schwierig. Hier steht, man soll den Albus hervorlocken, indem eine Person, die besonders anfällig für Albträume ist, den Lockvogel spielt.“

Funny und Darin schauten sich an. Ihre Augen weiteten sich in schrecklicher Erkenntnis. Gleichzeitig riefen sie einen Namen: „Lily.“

„Wieso Lily?“, fragte Vienna besorgt.

Funny erklärte mit stockender Stimme von Lilys Deal mit den Wächtern, von ihrer tiefen, panischen Angst vor dem Felsengefängnis, einer Angst, die sie zweifellos in ihren Albträumen verfolgte.

„Wir werden sie nicht benutzen!“, sagte Darin mit einer Härte, die niemand von ihm erwartet hätte. „Lily ist unsere beste Freundin. Wir werden sie keinem Albus zum Fraß vorwerfen.“

Funny nickte heftig. „Niemals.“

Larkin, der Oberbibliothekar, hob beschwichtigend die Hände. „Ich verstehe eure Sorge. Wie wäre es damit: Ich erstelle euch bis morgen eine kurze, präzise Zusammenfassung all unserer Erkenntnisse. Ihr besprecht das mit Rawenna und Lily. Lasst Lily selbst entscheiden. Ihre Stärke liegt nicht nur in ihren Muskeln, sondern auch in ihrem Willen.“

Widerstrebend stimmten Funny und Darin zu.

Die Geisterjäger von JWD

Am nächsten Morgen brachen sie auf, die Zusammenfassung von Larkin im Gepäck. Sie erreichten JWD vor Tagesende, erschöpft, aber voller Sorge. Sie gaben Lily und Rawenna die Mitschrift zum Lesen und fielen dann in ihre Betten, nachdem Lily sie kurz über die Ereignisse ihrer Abwesenheit informiert hatte.

„Ach, es ist nichts Besonderes passiert“, sagte sie achselzuckend. „Eine Horde Wildlinge, die wir leicht zurückgeschlagen haben. Eine Rotte Orks war ein Klacks, und die Wölfe wünschten, sie wären nie aus der Ödnis gekrochen gekommen.“

„Das alles ist nichts?“, fragte Funny entgeistert.

Rawenna und Lily lächelten sich nur verschwörerisch an. Da hatten sich echt zwei Draufgänger gefunden.

Am nächsten Morgen saß Lily pünktlich am Frühstückstisch. Rawennas Spezialkaffee – stark, heiß, mit einem Löffel Schokoladenpulver – schien Wunder zu wirken. Kaum hatten sich Funny und Darin gesetzt, sagte Lily ohne Umschweife: „Ich mache es. Ich spiele den Lockvogel.“

„Lily, nein!“, protestierte Funny sofort. „Bist du sicher? Der Albus wird deine schlimmsten Albträume beschwören. Wir müssen Abstand halten, du wirst ihm allein ausgesetzt sein.“

„Es ist mein Anteil an der Rettung von Blumental“, sagte Lily mit einer Festigkeit, die keine Widerrede duldete. „Ihr überlegt euch, wie ihr das Biest festhaltet und ich liefere es euch wie auf dem Silbertablett.“

„Okay“, sagte Darin resigniert. „Aber wie können wir ihn festhalten?“

In diesem Moment schrillte der Alarm, er klang irgendwie belustigt. Rawenna sprang erfreut auf.

„Florent!“

Mit einem Jubelschrei stürzte sie nach draußen. Darin flüsterte Funny und Lily zu: „Ich habe personifizierte Alarme gebaut, er erkennt die Familie. Deshalb konnte uns Rowenna gleich mit einer Tasse Tee begrüßen.“

Es war tatsächlich Florent, der von einer langen Reise zurückkehrte. Nachdem er seine Frau umarmt hatte, wandte er sich an seinen Sohn.

„Schau mal, was ich gefunden habe!“

Er warf ihm ein seltsames Spielzeug aus Menschenhand zu. Auf der Packung stand „Protonen-Pack“.

„Ist nur ein Spielzeug. Aber so stellen sie sich vor, wie man Geister festhalten kann.“

Darin nahm das Gerät sofort auseinander. In der Packung lag auch ein dünnes Heft: „Ghostbusters – Der Film“. Funny schnappte sich das Heft und blätterte es mit Lily durch.

„Schau mal, Darin!“, rief sie. „Wenn das Gerät funktionieren würde, könnten wir den Albus von Lily trennen und isolieren!“

Sie zeigte auf ein Bild, auf dem drei Männer mit ähnlichen Geräten einen Geist in Energiestrahlen gefangen hielten.

Darin las den Text unter dem Bild: Ionisator… Protonenstrom… Geisterfalle… Ein Albus war kein körperliches Monster, eher eine rauchige Erscheinung. Ein Gedanke formte sich in seinem Kopf.

„Ich verschwinde dann mal kurz in der Werkstatt“, rief er und war weg.

Kurz darauf ertönten Hämmern, Kreischen und Zischen aus der Werkstatt. Lily und Funny wollten nachschauen gehen.

„Geht nicht zu ihm“, hielt Florent die Mädchen lächelnd zurück. „Wenn er in seinem Element ist, stört man ihn besser nicht. Es wird gleich krachen oder stinken, und dann ist er fertig.“

Es rummste gewaltig. Ein etwas stärker zerzauster Darin als sonst kam mit einem triumphierenden Lächeln aus der Werkstatt. Er hielt drei nachgebaute, aber deutlich mächtiger aussehende „Protonen-Packs“ in den Händen.

„Ich hab’s!“, verkündete er stolz. „Ich glaube, dem Produzenten des Spielzeugs hat irgendwer aus dem Feenland mal erzählt, wie man ‚rauchige‘ Geister festhalten kann. Die Theorie ist solide.“

Er erklärte seinen Plan: Sie mussten sich in einem gleichseitigen Dreieck aufstellen. Wenn die Energiestrahlen sich in der Spitze trafen, würden sie ein magisches Gefängnis bilden. Sobald der Albus gefangen war, musste Lily nur herausspringen, da das magische Gefängnis feste Körper nicht festhielt..

„Und dann sprechen wir Viennas Unkrautbekämpfungszauber“, beendete er. Er sah seine Eltern an. „Mama, hast du noch die komischen Salzkristalle, die Papa mal mitgebracht hat?“

Florent holte einen ganzen Sack davon aus dem Lager.

„Perfekt“, sagte Funny und blätterte noch einmal in Larkins Aufzeichnungen. „Hier steht, wir sollen die Kristalle auf die Stirn der Opfer legen und dann mit dem Zauber aktivieren.“

„Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte sie mit neuer Dringlichkeit. „Lasst uns mit Darins Protonen-Packs auf Albus-Jagt gehen. Denn hier steht auch, dass ein Albus körperlich werden kann, wenn er genug Lebensenergie gesammelt hat. 50 Opfer sind schon recht viel. Wir wissen nicht, wie nah er an dieser Schwelle ist.“

Darin lächelte Funny an.

„Danke für dein Vertrauen in meine Erfindung.“

„Alles, was du entworfen hast, seit ich dich kenne, hat stets sofort funktioniert“, erwiderte Funny und lächelte zurück.

„Was ist denn in den letzten Tagen zwischen euch gelaufen?“, fragte Lily mit gespielter Empörung.

„Nur ein gemeinsamer Onsenbesuch im Schloss“, sagten Funny und Darin wie aus einem Munde.

Lily verschluckte sich vor Überraschung an ihrem Kaffee. Rawenna kicherte.

„Lily, beim Fürsten und bei Vienna wird Freizügigkeit großgeschrieben. Anders als hier, wo ich manche Grobiane rauswerfen muss.“

„Darüber reden wir noch!“, raunte Lily Funny zu.

„Aufbruch!“, kommandierte Rawenna. „Darin, Funny und ich bekommen die Protonen-Packs. Florent, du bist unser Packesel für die Kristalle. Lily, du bist unser tapferer Köder. Los jetzt!“

Der Köder und der Käfig

Sie erreichten das Feld vor dem Haupttor von Blumental, als die Nacht bereits hereingebrochen war. Die Luft war kalt und still.

„Denk jetzt an deine größten Albträume, Lily“, schärfte Rawenna ihr noch einmal ein, ihre Stimme war sanft, aber fest. „So intensiv wie möglich. Wir verstecken uns außer Sichtweite. Darin, wie groß ist die Reichweite der Packs?“

„Maximal zehn Meter“, antwortete er. „Danach wird der Energiestrom unregelmäßig, das Gefängnis also löchrig.“

„Dann müssen wir einen Sprint über 200 Meter hinlegen“, sagte Rawenna. „Wir müssen über den Albus kommen, bevor er Lilly vollständig beherrscht.“

Lily setzte sich in den Schneidersitz auf den kalten Boden, schloss die Augen und atmete tief ein. Dann ließ sie die Mauern fallen, die sie um ihr Herz errichtet hatte, und tauchte ein in die dunkelsten Ecken ihrer Erinnerungen. Das Felsengefängnis. Die Angst, allein und vergessen in der Dunkelheit zu sterben. Die Gesichter derer, denen sie nicht hatte helfen können. Die Demütigungen. Der Hunger.

Schon nach wenigen Minuten hatte sie das Gefühl, ein furchtbarer Alpdruck würde auf ihr lasten, ihr die Luft zum Atmen nehmen. Sie verstand, warum Funny sie so eindringlich gebeten hatte, nicht den Lockvogel zu spielen. Sie merkte, wie sie in einem riesigen, emotionalen Loch zu versinken begann. Ein leises Schluchzen entkam ihrer Kehle.

Aus ihrem Versteck sah Funny ihre Freundin leiden. Sie wollte losstürzen, sie in den Arm nehmen, ihr sagen, dass sie aufhören soll. Doch Florent, der neben ihr kauerte, hielt sie mit fester Hand zurück.

„Mach ihr Opfer nicht zunichte, Kind“, flüsterte er. „Seid nachher für sie da.“

Funny nickte, Tränen liefen ihr über die Wangen. Auf der anderen Seite des Feldes sah sie zu Darin, der mindestens genauso mit sich zu kämpfen hatte, nicht zu Lily zu stürzen.

Und dann sahen sie es. Über der schluchzenden Lily materialisierte sich eine furchterregende Gestalt. Sie war nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Schatten und Furcht. Arme, die wie Tentakel aussahen, griffen nach Lily. Augen, die wie glühende Kohlen dunkelrot leuchteten, starrten auf sie herab. Alles war von wabernden, schwarzen Schlieren umhüllt, die man nur gegen die fernen Lichter des Dorfes sehen konnte. Der Albus war da.

„JETZT!“, brüllte Rawenna.

Sie flogen los. Wie drei Pfeile schossen sie auf die Kreatur zu. Der Albus, wie benommen von der schieren Ergiebigkeit von Lilys Albträumen, bemerkte die drei erst, als es zu spät war.

Drei Energiestrahlen schossen aus den Protonen-Packs und trafen sich über dem Albus. Ein leuchtendes, dreieckiges Zelt aus feinen Energielinien bildete sich und schloss die Kreatur ein.

Florent, der den Plan kannte, stürzte im selben Moment zu Lily, die sich offensichtlich nicht mehr selbst bewegen konnte, und zog sie aus dem leuchtenden Käfig.

Der Albus stieß einen lauten, seufzenden Klageschrei aus, ein Geräusch, das klang wie tausend sterbende Seelen. Er versuchte, durch Lücken im Energiegeflecht zu entkommen, aber die drei an den Protonen-Packs rückten näher zusammen und schlossen die letzten Lücken. Der Albus war gefangen.

„ZAUBER!“, rief Rawenna.

Alle drei begannen, den Regenbogenzauber zu sprechen. Schillernde Strahlen aus purer Energie schossen aus ihren Händen und trafen den Albus. Die Kreatur wand sich und schrie auf. Florent sammelte die vollen Kristalle ein, die von den Dreien gefüllt wurden, und verteilte neue an sie. Nach einer Weile kam Lily wieder zu sich. Auch sie schnappte sich die leeren Salzkristalle und reichte sie den Zaubernden, denn die Kristalle füllten sich immer schneller mit der gestohlenen Lebensenergie.

Als der sechzigste Kristall voll war, begann der Albus zu pulsieren. Die schwarzen Schlieren wurden durchsichtig, und mit einem letzten, leisen Seufzer löste er sich in Nichts auf.

„Feuer einstellen“, befahl Rawenna.

„Viel länger hätte die Energie der Packs auch nicht gehalten“, keuchte Darin.

Das Gefängnis erlosch. Der Albus war besiegt. 60 volle Energiekristalle pulsierten in einem schwachen, hoffnungsvollen Licht.

Das Erwachen

Sie waren kaum am Tor von Blumental angekommen, als es schon geöffnet wurde. Offensichtlich hatten viele Einwohner das Schauspiel vor ihren Mauern verfolgt. Rawenna zeigte dem Bürgermeister den offiziellen Auftrag.

„Wir haben eine Lösung“, sagte sie. „Bringen Sie uns zu den… Schlafenden.“

Im Lagerhaus, wo die leblosen Körper aufgereiht waren, herrschte eine bedrückende Stille.

„Verteilt auf jeder Stirn einen Kristall“, wies Rawenna an.

Funny trat zum ersten Opfer, einem jungen Mädchen, der Tochter des Bürgermeisters. Sie legte den leuchtenden Kristall auf ihre Stirn und sprach einen einfachen Aktivierungszauber. Ein tiefes Seufzen kam von dem Mädchen. Der Bürgermeister erschrak. Doch sein Schrecken wandelte sich in unbändige Freude, als seine Tochter die Augen aufschlug und noch etwas desorientiert fragte: „Wo bin ich? Papa? Was für ein furchtbarer Albtraum…“

Was folgte, war eine Welle des Erwachens, der Freude und der Tränen. Rawenna sah stolz zu, wie eigenständig und professionell Funny, Lily und Darin sich der Wiederbelebung der Opfer widmeten.

Dann hörte sie vom Eingang ein kurzes Räuspern. Es war Kaelan. Er war mit einem kleinen Trupp Wächter eingetroffen, alarmiert durch die magischen Signaturen des Albus.

„Na“, sagte er mit einem seltenen Lächeln. „Hat ‚Adiuva et Protege‘ mal wieder die Welt gerettet?“

Der Bürgermeister, der hinzukam, fragte verwirrt: „Adiuva et Protege?“

„Ja“, sagte Rawenna und legte einen Arm um Lilys Schultern. „Das sind Funny, Darin und Lily. Sie hatten die Ideen, die Ausrüstung und haben alles umgesetzt. Ich habe nur ein wenig unterstützt.“

Schnell waren der Bürgermeister und Kaelan über alles informiert.

„Sagen wir es ihnen?“, flüsterte Kaelan Rawenna zu.

Rawenna raunte zurück: „Dass sie befördert werden? Und dass sie sich kurz vor Ende der Ferien bereits ins zweite Jahr einschulen können?“

Lily, die gerade mit einem leeren Sack vorbeikam, hatte das gehört.

„Wer darf ins zweite Jahr wechseln?“

Kaelan und Rawenna wechselten einen kurzen Blick. Kaelan lächelte.

„Ihr. Ihr werdet auf Rang D befördert. Und wenn ihr in knapp zwei Monaten die vorgezogene Eignungsprüfung besteht, könnt ihr bereits mit D+ ins zweite Ausbildungsjahr starten und das Schuljahr möglicherweise mit C+ beenden.“

Lily schwirrte der Kopf. Das war… zu viel. Zu schnell.

Funny und Darin, die dazugekommen waren, sahen ihre Not. Sie stellten sich links und rechts neben sie.

„Wir schaffen das“, flüsterte Darin. „Entweder alle gemeinsam oder niemand. Wir lassen dich nicht zurück. Du bist nicht allein. Nie wieder!“

„Du bist die beste Freundin, die man sich nur vorstellen kann“, ergänzte Funny und nahm ihre Hand. „Und du warst heute die Mutigste von uns allen.“

Bei diesen Worten kullerten die ersten Tränen über Lilys Wangen. Sie, die immer die Starke, die Freche, die Unnahbare war, fiel ihren beiden Freunden um den Hals und schluchzte vor Erleichterung und Glück.

Kaelan schmunzelte. „

Adiuva et Protege“, sagte er leise zu Rawenna. „Sie helfen und beschützen nicht nur andere. Sie helfen und beschützen auch sich selbst.“

Rawenna blickte auf die drei sich umarmenden Elfen.

„Ja“, sagte sie und ihre Stimme war voller Wärme. „Vielleicht gibt es für diese Welt doch wieder Hoffnung.“

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Kommentare

Eine Antwort zu „Der Seelensauger von Blumental“

  1. Avatar von Ursula

    Herzergreifend. Wie immer wunderschöne Ideen

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